Was auch noch vor den Ferien passiert war:
Unser Klüttchen ist gestorben.
Wie sie einst zu uns kam: Die Katze, die wir vor über 16 Jahren aus dem Tierschutz von einer Pflegestelle holten.Der Mann und ich fanden das Klüttchen damals in einer ziemlich überfüllten Pflegestelle bei einem dezent überforderten älteren Ehepaar. Es stank fürchterlich nach Katzenpipi auf allen Etagen. Wir sahen uns die zu vermittelnde Katze an, die sich jedoch in einer Höhle versteckte und gar nicht raus traute. Wir wollten es dennoch versuchen, durften sie aber nicht selbst mitnehmen, sondern der Mann von der Pflegestelle bestand darauf, dass er die Katze selbst brachte, um sich vor Ort ein Bild von unserer Wohnung zu machen. Und da war sie nun. Unser Klüttchen. Als Gefährtin für unser Katerchen. Den Namen gaben wir ihr, weil sie so schwarz war, wie ein Stück Kohle. Und im Rheinischen heißt Kohle Klütte. Unser Klüttchen verkroch sich für mehrere Tage unter meinen Schreibtisch hinter einem Korb und lugt immer wieder mit weit aufgerissenen Augen wie ein Erdmännchen hervor. Sie hatte auch Durchfall, was wir zunächst auf den Stress führten. Sie wurde zutraulicher, freundete sich sogar vorsichtig mit dem Kater an. Aber der Durchfall blieb und sogar der Kater zeigte plötzlich Symptome. Es stellte sich heraus, dass sie hochansteckende Parasiten hatte. Giardien. Ich informierte die Pflegestelle darüber, denn das Klüttchen hatte diesen Durchfall von Tag 1 bei uns und der Kater war bis dahin völlig gesund gewesen. Zudem waren der Kater als auch die Klütte reine Wohnungskatzen. Sie musste die Giardien also von der Pflegestelle eingeschleppt haben. Die Pflegestelle behauptete jedoch voller Inbrunst, das könne nicht sein, das müsste die Klütte sich bei uns eingefangen haben. Es ließ sich final nicht klären und wir bekamen diese unschöne Geschichte auch erst dann in den Griff, nachdem unsere Tierarztpraxis beide Katzen für mehrere Tage in Quarantäne nahm. Wir desinfizierten dann die komplette Wohnung und nahmen danach zwei dankbare und gesunde Katzen wieder bei uns auf.
Unser Klüttchen lebte sich zunehmend gut ein, blieb aber eine scheue Katze mit Vorlieben für Höhlen. Sie hatte das schönste, dichteste, weichste schwarze Fell, dass ich je streicheln durfte und auch das lauteste und satteste Schnurren. Sie gewöhnte sich an 3 Kinder und einen Umzug. Sie war immer dabei oder eben in einer ihrer Höhlen. Gut gelaunt kam sie morgens schnurrend durch die Schlafzimmer gelaufen. Ihre meiste erhobener Rute, mit der sie sich wie eine Haifischflosse schon ankündigte, bevor man sie ganz sah, lief dann um die Betten herum. Sie war insgesamt ein unfassbar freundliches und sanftes Wesen.
Nach draußen ging sie nie. Nachdem der Kater nach dem Umzug freudiger Freigänger wurde, eilte die Klütte ihm nur zu Hilfe, falls er mit einer anderen Katze in Streit geraten war. Sonst kam das Klüttchen nur zaghaft raus in den Garten wenn wir auch draußen waren. Insgesamt war ihr das Leben im Haus angenehmer. Da war sie sicher. Und in dieser großen Höhle bewohnte sie kleine Höhlen. Kartons unterm Bett bevorzugt. Sie gewöhnte sich dann auch noch an ein viertes Kind und immer öfter trubelige Gastkinder. Sie arrangierte sich mit den nervigen Bauarbeiten im und am Haus, als wir unseren Wohnraum erweiterten und nahm weiterhin gut gelaunt am Familienleben teil. Abends beim Füttern beschnupperte sie den heimkehrenden Kater und putzte diesen. Wenn ich auf dem Sofa saß, kam sie manchmal über die Lehne balanciert und putzte meinen Haaransatz. Auf den Schoß bei irgendjemandem kam sie jedoch nie. Das höchste der Gefühle war ein kurzes Ruhen neben uns auf dem Sofa. Besonders gern holte sie sich laut schnurrend Streicheleinheiten auf der Treppe, wenn wir durch das Treppengeländer streichelten. Da fühlte sie sich sicher. So blieb sie all die Jahr sehr eigen und durfte das auch.
Als schließlich beide Katzen in einem erkennbaren Rentenalter waren, ergab es sich, dass wir noch zwei 3 Jährige Katzen aufnahmen. Nachdem alle 4 Katzen erfolgreich miteinander vergesellschaftet waren, baute der Kater nach und nach ab. Diverse alterstypische Krankheiten machten ihm zu schaffen und so lag er dann eines morgens tot im Flur. Die Klütte trauerte ab diesem Tag sichtbar ein halbes Jahr lang! Sie fraß wenig und lag traurig in ihren verschiedenen Höhlen. Es war ein trauriger Anblick. Nach einem halben Jahr genau tauchte sie endlich wieder auf. Sie lag dann gemeinsam mit den neuen Katzen auf dem Sofa, streunerte wie gewohnt durchs Haus. Wenn der Mann kochte, saß sie schnurrend neben ihm, immer darauf bedacht, dass mal ein Stückchen Käse herunter fällt. So ging es ein Weilchen gut, aber dann kam auch beim Klüttchen ein krasser Alterschub. Sie nahm sehr stark ab, schlief mehr, hielt sich nur noch im Erdgeschoss auf, fraß weniger, trank dafür mehr. Sie wirkte aber zufrieden. Und da sie auch bereits 17 oder sogar 18 Jahre alt war, wussten wir, es würde nicht mehr allzu viel Zeit mit ihr bleiben. Wir hätten natürlich zum Tierarzt gehen können. Aber die Klütte hasste nichts mehr, als das Haus zu verlassen und sie hasste es noch mehr irgendwelche Medikamente untergejubelt zu bekommen. Die erbrach sie stets. Egal in welcher Darreichung. Somit entschieden wir, solange sie keine erkennbaren Schmerzen hat, lassen wir der Natur ihren Gang.
So kam es, dass wir wussten, dieser Sommer würde ihr letzter sein. Sie zeigte immer wieder Entgiftungssymptome (Erbrechen) und hielt sich vornehmlich in der Küche neben dem Kühlschrank auf. Jeder Versuch ihr ein gemütliches Plätzchen zu schaffen oder ihr einen weichen Untergrund unterzujubeln, verweigerte sie. Sie legte sich demonstrativ neben die angebotenen Kissen, Decken und Nester. Zuletzt zog sie sich immer wieder unter den Spülenschrank zurück. Allerdings umschnurrte sie weiterhin alle und stibitze sich auch hier und da Käsereste vom Tisch. Dankbar ließ sie sich auch bürsten, denn die Fellpflege gelang ihr nicht mehr so richtig. Das unglaublich dicke weiche Fell tendierte an manchen Stellen zum Verfilzen.
Dann kam der Morgen, an dem der Mann und ich das Klüttchen in der Küche schlapp auf der Seite liegend vorfanden. Alle Viere seitlich von sich gestreckt. Sie atmete schwer. Sie versuchte aufzustehen, fiel aber sofort wieder in sich zusammen. Wir wussten eigentlich sofort, was das bedeutet. Die Ohren und Pfoten waren schon ziemlich kühl. Bevor die Kinder alle unten eintrudelten, legte ich das Klüttchen auf ein Kissen. Sie wird es gehasst haben, war aber nicht in der Lage sich zu wehren. Dann legte ich sie mit dem Kissen unter den Basteltisch. Eine ihrer „Höhlen“, wo sie ihre Ruhe hatte und wo die Kinder sie erstmal nicht sahen. Wir wollten morgens vor der Schule keine Unruhe erzeugen. Ich beobachtete sie und ich hatte den Eindruck sie beobachtete mich zurück. Ab und an blinzelte sie.
Als dann alle aus dem Haus waren, blieb nur der Mann mit ihr zurück und beobachtete, wie das Klüttchen sich nochmal aufraffte, um das Kissen zu verlassen. Das hatte irgendwie in der Tragik eine gewisse Komik, wie diese zauberhafte Katze allen Komfort so konsequent ablehnte. Dann sackte sie im Durchgang mitten im Weg zusammen und blieb dort liegen. Als ich nach Hause kam, lag sie weiterhin da und als ich sie ansprach bildete sich eine Urinprütze um sie herum. Es ging eindeutig dem Ende entgegen. Ich machte alles vorsichtig um sie trocken. Ihr Blick war leer. Sie atmete gleichmäßig, aber schwer. Ohren und Pfoten waren eiskalt. Die Kinder trudelten dann auch ein. Alle streichelten ihr nochmal vorsichtig über das Fell. Ich backte dann Pfannkuchen für alle und während alle ruhig und etwas besorgt am Tisch saßen und aßen, machte das Klüttchen ihre letzten Atemzüge. Die Pfoten zuckten ab und an, die Ohren auch. Die Energie wich erkennbar aus dem kleinen schwarzen Katzenkörper. Als hätte sie auf alle gewartet. Ganz nach ihren Vorlieben. Immer dabei, aber nicht zu sehr beachtet.
Wir haben geweint.
Ich habe das Klüttchen dann zusammengerollt und in einen kleinen Karton gelegt. Darin lag sie, als schliefe sie.
Die Nachbarskinder banden ein kleines Blumensträußchen und trauerten mit uns.
Noch am selben Tag hob ich eine Grube aus. Aber beerdigen wollten wir die Klütte erst am nächsten Tag. Obwohl ich rational wusste, dass sie tot ist, brauchte ich einen Tag, um es zu realisieren und die Leichenstarre zu erleben, damit auch der letzte Zweifel am tatsächlich Tod beseitigt würde. Die beiden neuen Katzen hatte somit auch noch die Möglichkeit zu verstehen, was da passiert war.
Ich habe tatsächlich einige Tage getrauert und auch ein paar Monate danach vermisse ich sie immer noch.