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Erziehung und Realität

(K)ein Fall für die Super Nanny

Von Beobachtungen und Urteilen

Folgende Szene:

In einem Möbelhaus flaniert ein Elternpaar durch die Ausstellung. Die mitgeführten Kinder tollen, hampeln und rennen durch die Gänge. Die Kinder erklimmen Teppichberge und aufgetürmte Serviettenstapel in Weihnachtsmotivdruck. Die Eltern meckern.
Ein Kind fängt, nachdem die Mutter darauf hingewiesen hat, dass man sich nicht in den ausgestellten Vorhängen einwickelt und daran schaukelt, an zu schreien. Wildes ungezügeltes kurzes Aufkreischen.
Die Mutter hockt sich vor das Kind, sieht es fest an und sagt etwas in strengem Ton. Das Kind blickt stoisch an der Mutter vorbei mit motzigem Gesicht und kreischt schrill. Etwas leiser sagt es: „Blöde Kack-Mama!“ und sprutzelt mit der Zunge und einem Pupsgeräusch der Mutter Spucketröpfchen ins Gesicht.

Hauptdarsteller dieser erbaulichen Szene waren das Sirenchen und ich.

Lustigerweise hätte ich früher eine klare Meinung zu dieser Situation gehabt. Nämlich: Die hat ihr Kind nicht im Griff.

Heute denke ich: Schließe nicht von einer Situation auf das große Ganze.

In dem Moment dachte ich aber auch: „Jetzt denken alle anderen, ich hätte mein Kind nicht im Griff. Kann ich jetzt eigentlich irgendwas richtig machen, ohne das externe Beobachter ein negatives Urteil fällen?“

Bevor ich schildere, wie ich reagierte und warum, stelle ich die Frage: Wie kam es zu solch einer „Entgleisung?“

Die Kinder waren nicht im Kindergarten, weil sie einen ziemlich nervigen Husten haben (Ich übrigens jetzt auch). Allerdings waren sie zu Hause ziemlich fit und wild. Am frühen nachmittag beschlossen wir das Haus mal zu verlassen. Vernünftig wäre ein Spaziergang an der frischen Luft gewesen. Aber manchmal kann ICH die frische Luft und das Draussen in unmittelbarem Umfeld nicht mehr ertragen. Das sehe ich täglich. Es laaaangweilt mich manchmal. Zudem planen wir schon länger das Garderoben-Provisorium im Flur zu optimieren. Der Mann war auch zugegen und hatte Zeit. ICH wollte zum Möbelschweden. Die Kinder mögen es dort auch. Also, Kompromiss, alle mal einen Szenenwechsel und für Mama Inspiration.

Die Kinder freuten sich und waren außer Rand und Band. Kann man nicht anders sagen. Im Smaland wollte jedoch keiner von ihnen bleiben. Das konnten wir ihnen noch nie schmackhaft machen. Die Kinder lieben es durch die Beispielwohnungen zu gehen und das Sirenchen liebt in der Kinderabteilung tatsächlich die kleinen Mädchenzimmer. Dort kehrt sie besinnlich ein und nimmt an jedem kleinen Schreibtischlein andächtig Platz, während das Knöpfchen rutscht und der Sohn das Holzeisenbahnangebot studiert.
Als wir in der Markthalle ankamen wurden die Kinder jedoch unruhig. Das wäre der Moment gewesen einfach wieder zu gehen, draußen noch ein bisschen rumzuspringen und nach Hause zu fahren. Aber wenn man schon mal da ist, wollten wir schon noch ein paar Dinge mitnehmen. u.A. für die Garderobe, die wir selber bauen werden.

Das Sirenchen erklomm in der Küchenabteilung einen großen Karton mit Servietten. „Ahhhh! Kind bist du wahnsinnig?“ Und in der Teppichabteilung fanden wir die vorgestürmten Kinder von einem Fußmattenberg zum anderen springend wieder. „Sofort runter da! Ich glaub es hackt!“ (Ja, sowas sagen ich, sogar im strengem Tonfall.)

Das Sirenchen versteckte sich sodann zwischen Kartons und Teppichen und roch sehr staubig hinterher. 😀

In der Gardinenabteilung maßregelte ich sie, dass sie sich auf keinen Fall in einen Vorhang wickeln und dann damit schaukeln dürfte. Ich sah ihrem Blick jedoch an, dass sie schon nicht mehr unter den rational Denkenden weilte. Sie hat dann so einen bestimmten Blick. Irre, ist der passenden Ausdruck. Diesen Zustand hat sie immer dann, wenn sie müde und überreizt ist. Hatten wir länger nicht mehr. Aber jetzt war er da. Mitten im Möbelhaus. Puh. Sie schüttelte nur unwirsch den Kopf und kreischte immer kurz auf. Das kann sie gut, unser Sirenchen. Den Namen trägt sie ja nicht umsonst. Und nun sind wir schon mitten in der oben geschilderte Szene.

Meine Reaktion:
„So Fräuleinchen, das war jetzt drüber! Ab jetzt machst du eine Pause im Einkaufswagen! Keine Diskussion!“ Das sagte ich auch ziemlich resolut und unmissverständlich. Dann verfrachtete ich sie eigenhändig in den Einkaufswagen hinein.

Alternative Handlungsweisen? Nope!

Denn: Unser Sirenchen ist in diesem Zustand weder mit Gemecker, langatmigen Erklärungen oder gesäuseltem Verständnis und Geschmuse nicht zu gewinnen und macht dann eher noch mehr Gedöns, als so schon. Sie hört dann vernünftigste Argumente und Vorschläge nicht mehr. Die Worte, und seien sie noch so wohl gewählt, dringen nicht zu ihr durch. Schotten dicht. Ernsthaft!

Zum anderen: Wir waren nun noch im Möbelhaus und mussten es halbwegs gesittet zum Ausgang schaffen. Es würde nochmal 10 bis 15 Minuten dauern bis wir eine andere Umgebung erreicht hätten. Und um es uns, dem Sirenchen selbst und auch anderen Kunden (ich hatte Sorge, dass jemand umgerannt oder mit dem Wagen umgefahren würde) nicht schwerer zu machen, als es gerade schon war, schoben wir zügigst von Dannen und beachteten den sirenenhaft kundgetanen Unmut über das Im-Wagen-Sitzen nicht weiter. Vor den Kassen durfte sie wieder raus. Da klappte es auch wieder ganz ok und im Auto angekommen, schlief das Sirenchen schon in der ersten Kurve tief und fest.
Weißt te Bescheid.

Nach dem Powernapping im Auto war sie den restlichen Abend auch wunderbar gelaunt und ihr Blick wieder wach und klar.

So war das.
Sie kann sich an ihren Aussetzer mit dem Spuckenebel übrigens nicht mehr erinnern. Sagt sie jedenfalls.

Ich glaube ihr das sogar.

Und in dieser wahnsinnigen Situation im Möbelhaus war ich keines Falls entsetzt oder enttäuscht von ihrem Verhalten. Ich dachte auch keinen Moment, dass ICH sie nicht im Griff habe. Es zeigte mir nur: Sie kann nicht mehr. Und ich muss jetzt eine ganz klare Entscheidung für sie treffen.

5 Antworten auf „(K)ein Fall für die Super Nanny“

Oh ja, solche Ausflüge und Situationen kenne ich gut. Das Kind tobt und rollt sich über den Boden der Fußgängerzone, das Spielzeug im Wartezimmer wird zum Eigentum erklärt und bis aufs Blut verteidigt oder das Sofa im Möbelhaus wird spontan zur Hüpfburg umfunktioniert. Nicht-Eltern rümpfen da gern die Nase und meinen da müsste man einfach mal durchgreifen. Aber ganz so einfach ist das eben nicht. Unsere Kinder sind eben auch keine Maschinen die funktionieren müssen.
Schau doch mal auf meinem Blog Vivabini vorbei. Hier poste ich u.a. Kurzgeschichten über solche Erlebnisse. Viele Grüsse, Silvia

Ich finde das Du sehr gut reagiert hast. Es gibt einfach solche Momente wo man deutlich merkt das die Kinder, nennen wir es mal im „Ausnahmezustand“ sind. Da hilft gut Zureden einfach nicht mehr. Ok, bei manchen vielleicht, aber ehrlich gesagt bei keinem Kind das ich persönlich kenne. Ich hätte Mausi auch in den Einkaufswagen gesetzt, denn ich habe weder einen Geldsch… der dann alles bezahlt, nur weil Madame im Wutanfall vielleicht was runterschmeißt, noch bin ich gewillt das sie irgentwen umrennt. Außergewöhnliche Situationen bedürfen halt auch mal außergewöhnliche Maßnahmen und ich sehe es nicht als Gewalt am Kind an, so wie das gerne behauptet wird. Liebe grüße, Nicole.

*gnihihihihi*
Wie passend, wo wir doch gerade gestern einen Familienausflug zum Möbelschweden gemacht haben. Jaaa. Auf einem Samstagnachmittag. *g*
Aber wir sind nicht hingefahren, um Möbel zu gucken und/oder zu kaufen. Nö. Einfach nur, um mit der Kleinen (3 Monate) und der Großen (knapp 2einhalb) einen vergnüglichen Nachmittag zu haben… Das hat auch wunderbar geklappt. Wobei die Große auch ein Kandidat für „irre“ sein kann – netterweise wurden wir gestern verschont. 🙂

Aber seit ich selber mit Kind(ern) unterwegs bin, hüte ich mich ebenfalls, zu schnell Urteile über andere Mütter / Väter / Eltern zu fällen… Man gerät manchmal einfach in doofe Situationen.

Beste Frau Confuß, beide Daumen hoch für die toll behandelte Situation! Man muss sich immer wieder sagen, dass die Kinder quasi unsere Hilfe brauchen, wenn sie selbst nicht mehr Herr ihrer Sinne sind und nicht mehr weiter wissen. Hilfe durch ‚rausbringen aus der Situation‘, durch klare Anweisungen, was jetzt gemacht wird und durch Gelassenheit und Ruhe (ha, klingt so einfach!).
Ich verbringe die Tage ja auch häufiger mal mit meinen 2 lieben Irren – so wie gestern. Da schrien sie sich hunderte Male ‚Du Kackaaa‘ entgegen, schubsten sich und starteten diese Spucke-Anpruste-Attacken. Kein leichtes Brot, da ständig gelassen aber dabei resolut abzuwiegeln… meine schönste Begebenheit war neulich in einem überfüllten Kaufhaus: Weil sie kein menschengroßes Kuschelvieh-Häschen bekam, schmiss die große Irre ihre Stiefel durch die Gegend, warf sich auf den Boden und schrie. Ich merkte jeden Blick und konnte alle ‚Oh, das ist aber unerzogen!‘-Gedanken der anderen riechen. Ein klares: Wir gehen sofort! war nötig. Das zu einem nassen Sack gewordene, schreiende Kind in die Karre platziert, angeschnallt und weg hier. Nach kurzer Schnappatmung an der frischen Luft und Gemoser, das von mir unkommentiert blieb, war sie aufnahmefähig für ein: Guuuuck! Da sitzt der Nikolaus! – und schon war alles vergessen. Klappt leider nicht immer. Was mache ich im Frühling? Kommt da der Osterhase? Hm.

Oh bin gerade froh zu lesen, dass deine beiden gestern auch so schräg waren. Gestern hab ich echt gedacht, ich fall vom Glauben ab. Die waren sooooo mega ätzend, dass ich aber richtig den Kaffe auf hatte. Was ein Tag. 😀

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