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Erziehung und Realität Neues vom wilden Mädchen (Sirenchen)

Das Sirenchen braucht Nähe

Länger war es recht still um unser Sirenchen. Und obwohl wir ein paar wenige sehr harmonische Tage hatten, keimte schon eine neue „Phase“ auf. Das Sirenchen hat für ihre Verhältnisse wenig Appetit. Auffällig ist, dass sie Obst vertilgt, aber Süßkram nur anknabbert und liegen lässt. „Kind, hast du Fieber?“, möchte ich fragen. Sie ist etwas blässlich, sonst aber fit und agil, wie eh und je. Mehr Schabernack als sonst macht sie auch.
Irgendeine verrückte Ideen hat sie ständig. Heimlich Wurst aus dem Kühlschrank stibitzen, sich ein Glas übervoll mit Saft kippen und sich dann kaputt lachen, Türen knallen und laut und übermütig quietschen, alle Puppen ausziehen, die Sachen verstecken und behaupten, das Knöpfchen hätte das gemacht etc.

Ich würde sagen in ihrem Kopf  passiert was und sie wächst. Sie kommt mir länger vor. Vor allem längere Beine hat sie bekommen.
Emotional ist sie deshalb auch etwas wankelmütig.
Von kleinem Donnervögelchen bis hin zur zarten Pusteblume hat sie alles parat.
Mit den Geschwistern spielen klappt solala. Alles was mit Aktion und körperlichem Einsatz zu tun hat, klappt gut.
Sitzt sie dann mal versunken mit ihrer Puppe da und jemand anderes kommt in den Raum, um sich ein Spielzeug zu nehmen, lässt sie ihre Puppe fallen, und entwendet dem Geschwisterkind das Spielzeug. Darüber möchte sie dann bestimmen und wird ziemlich zänkisch, wenn es nicht gelingt. Gekreische vorprogrammiert.
Bin ich in der Nähe und sehe das, blicke ich gestreng mit einem Räuspern zu ihr rüber. Hört sie nicht auf, muss ich sie zwangsherzen oder sowas. Kennt das einer? Zwangsherzen? Der „Wiedersacher“ wird sozusagen nieder gekuschelt. Das führt in unserem Haus stehts zu Lach- und Quitschanfällen und nimmt den Dampf raus.

Also das Sirenchen wird gerade sehr gerne zwangsgeherzt. Es ist nahezu das Einzige, was ihre Sticheleien unterbricht. Oder das Einzige, was sie damit erreichen möchte. Es einfach sagen, wäre zu leicht.

Man könnte nun glauben, sie bekäme zu wenig Zuwendung. Aber sie bekommt alles wie immer. Sie braucht einfach gerade mehr. Denn sie weiß selbst nicht wie ihr geschieht.

Vorgestern zitierte ich sie streng aus der Badewanne, weil sie schon vorher und dann in der Wanne vermehrt ihre Geschwister triezte. Es war richtig nervig. Ich hob sie schimpfend raus. Da stand dann das Sirenchen völlig verdattert und weinte dicke Krokodilstränen. Aber so richtig. Nicht geschauspielert. Was sie zweifelsohne auch kann. Dann hört sie aber auch per Knopfdruck wieder auf. Weil ich nun meine Pappenheimer kenne, merkte ich sofort: Das Kind ist durch. Normalerweise hätte sie mir in einer solchen Situation entgegen gelacht oder mir die Zunge raus gestreckt. Nicht so vorgestern. Ich nahm das verwirrte Kind feste in den Arm. Sie drückte mich ganz feste zurück.
Auf meine Frage, was denn los sei, antwortete sie mit Schulterzucken und es täte irgendwie was weh. Was, konnte sie nicht sagen.
In ein Handtuch eingewickelt nahm ich sie auf den Schoß und wir kuschelten. In solchen Momente bekommt sie einen ganz beseelten Gesichtsausdruck und wirkt unglaublich sanftmütig. Ich erklärte ihr dann, dass ich früher genauso war wie sie und man einfach merkt, dass sie MEINE Tochter sei. Und dieses komische Gefühl nicht so richtig zu wissen, was los ist, kenne ich auch noch von früher.

Das Sirenchen wirkte sehr glücklich und dankbar und angenommen. Sie kuschelte sich in der Nacht wieder wie ein Rucksack an meinen Rücken.

Gestern herzte und kitzelte ich sie einfach öfter. Das schien den emotionalen Tank zu füllen.

Und am Abend bescherte sie mir einen Lachanfall. Die Kinder waren bereits im Bett. Sichtlich hundemüde. Doch sie drehten nochmal auf. Wir hörten sie lachen und glucksen.
Schließlich rief der Sohn verzweifelt nach mir. Das Sirenchen würde immer Schubbedidubbedidub sagen.
Ich hörte das Sirenchen vergnügt quitschen im Hintergrund und dachte nur:

„Sie hat auch meinen Humor geerbt.“
Schlaftrunken werden wir ganz albern.

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