Hier kommt mein Bericht über meine kleine Berlinreise mit mir ganz allein. Die für mich nicht nur besonders war, weil ich zu meiner ersten Bloggerkonferenz reiste, sondern auch noch aus anderen Gründen. Dieser Bericht ist sozusagen Teil 3 einer Trilogie. 😀
Köln
Nachdem ich die dezent aufgeregten Kinder (Der Sohn hatte noch in der Nacht vor meiner Abreise einen Nachtschreck und das Sirenchen war leicht verunsichert. )mit Zuversicht und guter Laune im Kindergarten abgegeben habe, sitze ich in einem sehr vollen Zug nach Berlin und schüttle nach und nach mein schlechtes Gewissen ab. Ich darf auch etwas alleine unternehmen, sage ich mir. Das macht mich nicht zu einer schlechten Mama, sondern zu einer guten Mama. Es gelingt. Bis Berlin habe ich ein gutes Gefühl generiert.
Berlin Hauptbahnhof
Berlin empfängt mich mit dem schönsten Kaiserwetter. Und es ereignet sich ein beinahe historischer Moment. Eine Freundin holt mich am Bahnhof ab. Als ich vor 10 Jahren alleine ging, war sie die Letzte, die mich sah und nun ist sie die Erste, die mich alleine wieder in Empfang nimmt.
Es ist einer der wenigen Momente, den ich mir auf eine bestimmte Art vorgestellt habe und der tatsächlich so eintrifft. Wir laufen uns aufgeregt entgegen, umarmen uns und freuen uns wie bescheuert. Und verrückt ist, dass es sich trotz der vielen Jahre anfühlt, als seien lediglich ein paar Wochen vergangen.
Kreuzberg, Bergmannstraße
Es ist lau. Aber dämmert schon. Ich verabschiede mich von meiner Freundin mit der ich nonstop geplappert habe und breche auf Richtung andere Freundin, die mir auch die Unterkunft stellt. Ich mag gerne ein paar Schritte alleine laufen. Auf dem Platz vor der Markthalle ist noch viel Leben. Die letzten Kinder schaukeln noch auf dem Spielplatz und überall sitzen Menschen mit einem Bierchen. Obdachlose und Anwohner unbeeindruckt gemischt. Das mag ich an Berlin.
Ein Mann auf einer Bank sagt laut in meine Richtung, als ich vorbei gehe: „Waren WIR zufällig verabredet?“ Er sagt es mehr so feixend zu seinen Kumpels. Ich muss lachen, einfach, weil ich gute Laune habe und er fragt überrascht: „Waren wir?“ Ich laufe lachend weiter. Die Männer lachen auch. Aber freundlich. Ich fühle mich nicht belästigt. Es herrscht die ausgelassene und friedliche Stimmung des ersten lauen Sommerabends.
Die Bergmannstraße Richtung Südkreuz ist stiller als der Teil oberhalb der Markthalle. Die eine Seite ist flankiert von Häuserzeilen, die andere Seite von einem alten Friedhof. Die Amseln singen in den großen Bäumen ihr abendliches Konzert. Ich genieße den Blick auf die wunscherschönen alten Fassaden. Die breiten Gehwege lassen mich daran denken, wie eng es in Köln immer ist. Und ich stelle mir vor, wie meine Kinder hier lang hüpfen würden. Ich möchte meinen Kindern gerne Berlin zeigen. Ich denke dies ohne Wehmut. Ich weiß, es geht ihnen gut.
Es riecht nach Frühling. Waldreben und Blauregen klettern die schönen Altbauten schmückend hinauf. Hier und da sitzen Leute auf den Stufen der Hauseingänge und lauschen in den nahenden Abend. Wir lachen uns an. Ich bin so glücklich hier zu sein. Ich fühle mich so leicht. So nur ICH. Ich spüre schon jetzt: Ich kann es noch, allein sein.
Am Südstern ist kaum Verkehr. Einzig ein Rettungswagen donnert mit Sirene an mir vorbei. Dann laufe ich rüber in die Fontanenpromenade. Die Straßenlaternen gehen an. In dem Grünstreifen mit den alten Bäumen in der Straßenmitte sitzen Grüppchen von Leuten, die sich unterhalten. Leise Stimmen und Lachen dringt zu mir herüber. Und dann höre ich, während die Amseln bereits aufgehört haben zu singen, neben den leisen Zivilisationsgeräuschen einen Vogel singen. Ganz klar und deutlich und so anders, als die anderen Vögel. Es ist eine Nachtigall. Ich traue zunächst meinen Ohren nicht. Aber doch, es ist echt. Ihr Gesang ist noch fast bis zum Ende der Straße zu vernehmen. Ich blicke hier und da in die mittlerweile beleuchteten Fenster und freue mich unfassbar.
Berlin begrüßt mich immer freundlich und doch haben wir uns „im Streit“ getrennt damals.
Als ich meiner Gastgeberfreundin gegenüber stehe, habe ich auch hier nicht das Gefühl sie ein paar Jahre nicht gesehen zu haben. Das liebe ich. Das macht für mich eine echte Freundschaft aus.
Und als ich mich später im Gästezimmer mit Blick in einen, klassisch mit Kastanie begrünten Hinterhof glücklich ausstrecke, falle ich sofort in einen entspannten Schlaf. So gut habe ich wirklich lange lange lange nicht geschlafen. Ich habe mich nichtmal bewegt und wache auf, wie ich mich hingelegt habe.
Der nächste Tag beginnt frisch und ausgeruht.
Über die Blogfamilia habe ich schon geschrieben.
Der Tag ist toll! Zwischendrin ereignet sich noch etwas typisch Berlinerisches:
Nachdem ich für ein paar Mitstreiterinnen etwas umständlich ein paar Flaschen Bier aus dem Veranstaltungs-Kühlschrank geangelt habe, „erdreiste“ ich mich und frage einen Mitarbeiter vom Catering: „Entschuldigung, wo finde ich denn hier einen Flaschenöffner?“ Er guckt mich mit einer Mischung aus Genervt-sein und Irritation an und antwortet Schulterzucken: „Also ick hab kenen!“ Und geht.
Ich muss so lachen.
Ein netter andere Gast der Veranstaltung war dann so frei die Fläschlein mit einem Messer aufzuhebeln. Obgleich mir diese Technik vetraut ist….also theoretisch, bin ich praktisch nicht in der Lage Flaschen so zu öffnen.
Am Abend nach der Blogfamilia bin ich müde und habe geschwollene Füße. Ich freue mich sie hochlegen zu können und plaudere noch mit meiner Gastgeberin.
Der Samstag beginnt grau und nieselig. Gegen halb 11 mache ich mich auf den Weg, um bewusst alte Pfade abzulaufen. Ich möchte etwas heraus finden.
Ich fahre nach Schöneberg. Da habe ich in meinen Berliner Jahren gewohnt. In der U-Bahn sind noch überwiegend nur Einheimische unterwegs. Ein etwa 6 jähriger Junge mit seinem Papa, beide verstrubbelt, als seien sie gerade erst aufgestanden, steigen mit mir ein. Das „Outfit“ macht sie sehr lässig. Der Junge trägt eine zu kurze Jogginghose, ein T-Shirt, einen Rucksack und Winterschneehandschuhe. 🙂 Am Mehringdamm müssen sie die U-Bahn wechseln. Der Vater springt heraus auf die andere Bahnsteigseite und blockierte bei der dort stehenden U-Bahn die Türe. Sein Sohn kommt gelassen hinterher gesprungen. Ein eingespieltes Team.
Ein andere Fahrgast Mitte 20 mit ebenso strubbeligem Haar und sehr nachlässiger Kleidung trägt mega moderen Kopfhörer und hat ein bildhübsches Profil.
Diese nachlässige Lässigkeit….Und daneben steht eine Businesslady mit hohen Hacken und schickem Schmuck. Ich mag das.
In Schöneberg durchwandere ich die Eisenacherstraße, die Rosenheimerstraße und tingele schließlich über die Akazienstraße.
Es hat sich einiges verändert in Schöneberg. Zum Positiven. Es gibt mehr kleine und bunte Läden. Aber auch einige größere Geschäfte auf der Hauptstraße sind neu. Ein recht großes Straßenfest wird aufgebaut. Der Himmel ist weiterhin grau. Es nieselt wieder. Dicht an der Häuserwand bleibe ich trocken, auch ohne Schirm.
Ich finde dann auch tatsächlich noch ein Lädchen, in das ich einst gerne eingekehrt war. Es dient mir als rettende Zuflucht vor Frauen, die dringend meine Aura lesen möchten. In dem Laden MUSS ich irgendwas kaufen. Als alte Stammkundin, sozusagen. Meine Beute ist feuerrot. Quasi meine Aurafarbe, wenn mich nochmal jemand fragt, ob er diese lesen dürfe.
Ich laufe danach noch durch die Straßen, esse ein belegtes Brötchen und fahre zum Potsdamer Platz. Kein schöner Ort, wenn auch voller Geschichte, die zwischen den modernen Neubauten und Konsumhöllen vergraben liegt. Man muss wissen, wo man die Geschichte dort sucht. Was hat man sich dabei gedacht, diesen Ort zu zuzurichten?
Ich besorge für das Sirenchen ein paar versprochene Hausschuhe. Auf der Suche nach den Hausschuhen komme ich an einem Geschäft vorbei, welches Räumungsverkauf macht. Es gibt wirklich richtig tolle Wintermäntel für 10 Euro. Ich nehme zwei, nicht ohne mehrere Verkäufer zu fragen, ob das wirklich stimmt mit den 10 Euro. An der Kasse frage ich nochmal und die Kassieren sagt schnippisch: „Fräulein, et is Somma!“
„Jut!“ denke ich. „Abba muss man desdawejen jleich richtig super schicke Sachen verramschen?“
Aber sowas diskutiert man dann nicht und kauft einfach ein. Meine Schwester und ich haben nun im Herbst jeweils einen Mantel, wie ich ihn ernsthaft schon immer gesucht habe. Perfekter Schnitt, perfekte Länge.
Ziemlich plötzlich werde ich müde. Sehr müde. Die Arme von der schweren Einkaufstüte lang. Die Beine schwer. Die Wege werden weit. Gefühlt und in echt. Je nachdem wo man ist, läuft man weit von der S-Bahn zur U-Bahn oder zur nächsten U-Bahn. Die bleierne Schwere breitet sich auf meinen Kopf aus. Ich irre ein wenig umher und verliere meine Souveränität auf alten Pfaden zu wandeln. Ich steige glatt in eine falsch Bahn. Überall sind Menschen. Viele Touristen. Ich höre Spanisch, Englich, Finnisch?, Russisch….Wo kommt ihr alle her? Was macht ihr hier?
Ich würde mich am liebsten irgendwo hingelegt, um auszuruhen. Mein Kreislauf macht schlapp. Mir fällt die drückende Schwüle auf. Alles klebt und ist zäh wie Kaugummi. Den unterirdischen Gang von der U-Bahn zum Umsteigebahngleis waberte mir Musik entgegen. Schwere, melancholische Musik im Dreivireteltakt. Es wird immer lauter und fast taumelnd ziehe ich mit einem Strom Menschen an vier Straßenmusikanten vorbei.
An der nächsten Haltestelle erwartet mich das gleiche Lied wieder. Ich mag dieses Lied, auch wenn es sehr abgegriffen ist. Die Melancholie passt zu meiner Stimmung. Diesmal wird es von einem Trio mit Akkordeon und Geige vorgetragen. Will mir die Stadt etwas sagen? Ich sehne mich nach einem ruhigen Ort. Ich mag nicht mehr.
Berlin du bist so leicht und auch so schwer. Ich weiß plötzlich wieder, was mich vor 10 Jahren zermürbt hat. Man kennt so viele tolle Menschen, aber die Wege sind weit. Wenn man im Kiez kein konstantes Netzwerk hat….aber das baut sich auch nur langsam auf. Jeder ist mit sich und seinem Leben beschäftigt. Es ziehen viele Leute von Auswärts in die Stadt. Es wandelt sich alles. Ständig. Man kann vereinsamen, weil man im Alltag keine Zeit hat ständig und ewig im Stadtverkehr unterwegs zu sein, um Freunde zu treffen. Viel Zeit geht drauf, um von A nach B zu gelangen. Die U-Bahnen sind oft voll. Am Wochenende vornehmlich voller Touristen.
Und Berlin hat auch seine deprimierenden Seiten.
An einer Ampel zupft und singt ein kleines Kerlchen aufgekratzt an und neben seiner noch recht jungen Oma rum. Die sagt dann mit rauer und tiefer Stimme: „ Ick hau dir jleich eine rüber, wennste jetz nich artig bist!“
Das Bübelein tänzelt weiter aufgekratzt und gänzlich unbeeindruckt neben ihr über die nun grüne Ampel und die Oma brummelt weiter vor sich hin: „Du warst nu schon zum zweiten Mal nicht artig heute….“ (Und das war nicht mal Brennpunkt. An den mag ich gar nicht denken. Der macht mich fertig, wenn ich eintauche.)
Ein Mann mittleren Alters mit müden Augen sagt: „In Barlin möchte ick nich ewig leben.“ zu seiner ebenso müde erscheinenden Begleitung. Sie nickt stumm, zustimmend und wissend, dass sie hier alt werden.
Und als ich am Südstern aus der Bahn steige und ich an dem belebten Marktplatz vorbei laufe, habe ich das Gefühl keine Kraft mehr zu haben, um bei meiner Freundin anzukommen. Alles ist schwer und ich erinnere mich, wie ich vor 10 Jahren so oft mit meiner schweren Schultasche nach Hause taumelte. Müde und bleischwer.
Im Gästezimmer Strecke ich mich nochmal aus. Die Sonne kommt hervor und versucht mich aufzumuntern.
Als ich etwas später einigermaßen erfrischt zum Bahnhof aufbreche, ist es noch schwüler geworden. Es ist nahezu untertäglich warm in meinem Reiseoutfit.
Dank Blogfamilia und meinen übermütigen Einkauf von zwei Wintermänteln habe ich zu meinem Trolley noch eine dicke Tasche. Ich versuche sie auf dem Trolley mit zu ziehen. Ich brauche einige 100 Meter bis ich ein System entwickelt habe alles zu ziehen, ohne dass ständig etwas runter fällt. Ich entledige mich bei jedem Kramen einem Kleidungsstück. Erst die Jacke. Dann den Pulli. Ich trage noch ein Shirt. Wobei es in Berlin auch nicht auffallen würde, wenn ich im BH unterwegs wäre. Dann steht plötzlich eine Frau neben mir. „Komm ick helf dir. Jib mir wat zu tragen. Ick hab heute noch keine Jute Tat getan!“
Ich starre sie erstmal an und ringe nach Worten. Ich bin doch in Berlin! Das ist doch ne Falle. Oder? Und bevor ich mein: „Danke, es geht wirklich. Kein Problem“ bekräftigen kann, schnappt sie sich das schwere Wintermanteltäschchen und quasselt auf mich ein. Wohin ich muss und so.
Einerseits gerührt über die liebe Hilfe und die Aufgeschlossenheit bin ich froh, als ich wieder alleine mit meinem Gepäck bin. Nicht jede Bekanntschaft kommt zur passenden Zeit. Diese Zeit jetzt ist nicht passend. Und nicht immer braucht man Hilfe. Auch wenn es so aussieht.
Und so komme ich nach einem Bad in einer Touristen überfüllten U-Bahn und einem wirren Umsteigen an der Friedrichstraße am Hauptbahnhof an. So rechtzeitig, um mir noch einen Griespudding mit Obst am Obstthresen zu kaufen. Die beste Nachspeise, die man so kaufen kann. Nicht zu süß und immer frisch.
´Schüss Berlin. Wir sehen uns auf jeden Fall wieder. In alter und vertrauter Freundschaft. Ohne Kinder und mit Kindern. Beides geht gut. Aber nur noch als Gast. Ich habe etwas begriffen.
Du bist wie ein aufregender Liebhaber, der auf Dauer erdrückend für mich wird. Ich kann nicht mit dir leben.
Ich bin da zu Hause wo man ländlich mit krähendem Hahn in der Nachbarschaft und Garten lebt, mit schnell erreichbarem und recht beständigem sozialen Netzwerk und der Stadt um die Ecke, mit dem Fahrrad erreichbar. Das ist mein zu Hause. Ich muss nicht mehr darüber nachdenken, ob ich vielleicht auch in Berlin hätte leben können. Ich habe verstanden. 🙂
2 Antworten auf „Berlin- Der Bär mag mich und er-drückt mich.“
Hach wie gut sich das lesen ließ.
Ich liebe Deine Art zu schreiben!!!
Eine Meisterin der Worte bist Du!
Ich kann Dir folgen, als hätte ich es selbst erlebt…
😊 Vielen Dank!