Am Sonntag war der Mann mit den Kindern unterwegs. Er zu Fuß, die Kinder mit den Fahrrädern. Das machen wir öfter so. So kann man stramm gehen ohne nölende Kinder. Ich konnte die Ruhe zu Hause genießen und im Garten hantieren. Das liebe ich ja.
Irgendwann klingelte das Telefon und ein besorgter und verärgerter Mann berichtet, sie hätten das Knöpfchen verloren. Sie wären im Beethovenpark unterwegs gewesen und dort sei sie auf dem Rückweg einfach außer Sichtweite vorausgefahren und sei nun unauffindbar. Ich solle doch den üblichen Weg mal entgegen gefahren kommen und schauen, ob ich das Knöpfchen fände. Die Geschwister waren schon am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Vor allem der Sohn mag es überhaupt nicht, wenn jemand verloren geht.
Dazu muss man sagen, wenn man vom Beethovenpark zu uns nach Hause zurück möchte, muss man zwei größere nicht ganz unkomplizierte Straßen überqueren. Für eine 4 Jährige auf jeden Fall keine wirklich altersgerechte Aufgabe. Und noch dazu ist das für eine 4 Jährige auch eine erstaunliche weite Entfernung. Wirklich weit. Noch dazu, wenn man in diesem Terrain nicht oft unterwegs ist.
Vielleicht denkt der ein oder andere, der Mann habe vielleicht einfach keine Übung mit drei Kindern auf dem Fahrrad unterwegs zu sein. Allerdings kann ich dazu nur sagen, dass die Kinder eigentlich sehr gut hören und auch die Regeln des gemeinsamen Unterwegsseins kennen. Aber manchmal, da ist der Wurm drin. Da geht es auch mit den folgsamsten Kindern durch. Und das Knöpfchen hat derzeit ohnehin so eine Phase. Es hätte mir genauso passieren können.
Ich atmete also durch und schwang mich im Garten-Schlubbel-Look auf mein Rad.
Wenn ein kleines Kind abhanden kommt, hat jeder natürlich zig Szenarien im Kopf, die man sich eigentlich nicht vorstellen möchte.
Da ich aber schon ein paar Mal im Leben erlebt habe, auf welch aberwitzige Ideen Kinder kommen und man in der Regel nicht vom Schlimmsten ausgehen muss, klammerte ich die Varianten: Tod durch einen Verkehrsunfall und Entführt aus.
Es bringt ja auch nichts in Panik zu verfallen und ohne Logik und Verstand so eine Suche zu starten. Ich war erstaunlich ruhig. Panik konnte ich ja immer noch kriegen, wenn wir sie nicht fänden.
Wahrscheinliche Möglichkeiten waren in unserem Fall:
- Das Kind sitz alleine irgendwo im Park und beweint verzweifelt den Verlust der Familie und die Orientierungslosigkeit.
- Das Kind wurde von Spaziergängern aufgegriffen, die versuchen ggf mit Hilfe der Polizei die Eltern zu finden.
- Das Kind sitzt an einem markanten Punkt auf der Strecke und wartete ungeduldig auf den Rest der Familie.
- Das Kind kommt arglos den direkten Weg alleine nach Hause geradelt.
Ich hatte mir überlegt, im Park alle Jogger und Spaziergänger zu bitten nach einem kleinen Mädchen mit dunklem Pagenkopf und einem feuerroten Fahrrad Ausschau zu halten.
Doch soweit kam ich nicht. Noch in unserer Straße sah ich das Knöpfchen mir auf dem Bürgersteig entgegen radeln.
Mir fiel natürlich schon ein Stein vom Herzen. Und noch einer, als ich sah, dass sie völlig unversehrt und sogar ganz gut drauf war. Eine Mischung aus Erleichterung, Belustigung aber auch Wut wallte in mir auf. Als erstes rief ich den Mann an, um ihm die erfreuliche Nachricht mitzuteilen. DER schäumte vor Wut, war aber natürlich auch erleichtert und drehte mit den Geschwistern noch eine extra große Runde, um wieder abzukühlen.
Ich schob derweil mit dem Knöpfchen die Räder nach Hause und befragte sie erstmal, was denn da genau los gewesen sein und wie sie überhaupt alleine über die Straßen gekommen wäre.
Sie berichtete, sie habe sich mit ihrer Schwester gestritten und ein Rennen gefahren. Und sie wollte nicht verfolgt werden. Da sie sich den Weg genau gemerkt hatte, sei sei einfach weiter gefahren. Über die Straßen sei sie gefahren, nachdem sie nach Rechts und Links geschaut hätte. Ganz einfach.
Ganz einfach.
Ich erklärte ihr darauf hin lang und breit, dass sie so etwas nie wieder tun dürfe.
Eltern machen sich furchtbare Sorgen, wenn Kinder einfach verschwinden und man müsse immer Bescheid sagen, wenn man irgendwo hin wolle. Außerdem sei es gefährlich als kleines Kind alleine solche Strecken zu machen. Meistens trifft man dann zwar Erwachsene, die einen aufhalten und helfen die Eltern wieder zu finden. Aber manchmal gibt es auch Erwachsene, die nicht so nett und sogar böse sind. (Dieser Part ist schwierig, denn ich will meinen Kindern nicht per se Angst machen. Mir ist aber auch wichtig, dass sie um Risiken wissen und verstehen, warum Eltern sich furchtbar sorgen, wenn Kinder verschwunden sind.) Außerdem sei der Straßenverkehr für Kinder an manchen Stellen richtig gefährlich.
Sie nickte und wirkte etwas zerknirscht. „Der Papa ist bestimmt sauer und schimpft gleich!“ sagte sie zaghaft.
Ich wollte das nicht ausschließen und ließ sie zu Hause dann in Ruhe mit dem Thema. Sie malte zunächst ein Bild vom Spielplatz auf dem sie gewesen waren und verkrümelte sich dann in ihr Zimmer.
Nun einige Tage später kann ich vermelden, dass sie sich unsere Standpauke zu Herzen genommen hat. Sie springt oder fährt zwar immer noch furchtlos recht weit voraus, aber wartete an Straßenecken und bleibt im Rufradius. Der ist in meinem Fall recht weit, weil ich ein lautes Organ habe.
Den großen Kindern impfte ich allerdings auch nochmal am Montag ein, dass ich im Straßenverkehr keine Wettrennen oder Fahrradkunsttücke wünsche und wir nur gemeinsam große Straßen überqueren. Wenn man nämlich mit drei unterschiedlich schnellen Radfahrern unterwegs ist, dann kann man seine Augen nicht überall haben und muss sich aufeinander verlassen können. Zur Sicherheit von allen Beteiligten im Straßenverkehr.
Es klappt nun wieder. Manchmal ist es gar nicht schlecht, wenn eine Ausnahmesituation geschieht und man die gemeinsamen Regeln und die dazugehörigen Gründe nochmal gründlich dazu bespricht.
Auf ein Jahr, in dem erstmalig alle drei Kinder alleine Fahrrad fahren und ich einen Sack rollender Flöhe zu hüten habe. 🙂