Gerade kommt es wieder dicke mit dem wilden Mädchen und mir.
Sie hat sich zwar richtig toll entwickelt hinsichtlich ihrer unkontrollierten Wutausbrüche und kommuniziert zunehmend genauer, was zur schnelleren Beruhigung führt, dennoch bleibt es nicht unanstrengend für mich. Die Pandemie hat wieder alles tüchtig durcheinander gewürfelt und zeigt einmal mehr, wie empfindsam das wilde Mädchen auf jede Schwingung und Veränderung reagiert.
Also halte ich ihre Ausbrüche so gut es geht aus und begleite diese. Wir reden drüber.
Dennoch geht mir manchmal einfach die gute Grille flöten, um es mal salopp auszudrücken.
Ich führe Diskussionen über Haare und Frisuren, flechte, kämme, frisiere nach Wunsch und muss mich dann anschnauzen lassen, weil der Zopf ziept oder „puffert“. (Eine Wortschöpfung vom wilden Mädchen.) Oder der Zopf ist zu stramm, so dass sie ihre Augenbrauen nicht mehr „runter machen kann“. Angeblich. Das ist Quatsch, aber so fühlt sie es. Dann empfehle ich ihr, den Zopf zu lockern, aber dann „puffert“ er ( sagt sie) oder eben einfach wieder zu öffnen, wenn es ihr unangenehm ist. Aber dann brüllt sie durchs ganze Haus: „NEEEEIIIIN!“ und „DAS TUT MIR WEEEEH, WAS DU GEMACHT HAST!“
Wenn das auf der Straße einer hört, ruft der das Jugendamt. Kann ja keiner wissen, dass ich den Zopf „falsch frisiert“ habe.
Ebenso ermüdende Diskussionen führe ich täglich wegen ihrer Klamotten. Dann zwicken die Socken, dann kratzt das Schildchen im Schlüpper, die Jeans rutscht, das Shirt nervt, die Jacke ist unter den Armen zu eng, die Träger vom Kleid rutschen und wenn ich sie enger mache, ist es gefühlt unter den Armen zu eng, die Sandalen lassen sich zu schwer öffnen und schließen, die Badeanzüge sind auch alle doof, sie will eine Badehose, aber eine die noch nicht erfunden wurde, ich bin Schuld an allem und kaufe sowieso nur Sachen, die sie stören (dabei ist sie dabei, beim Aussuchen und Kaufen!)…etc.pp.
Sortieren wir gemeinsam Kleidung aus, weil sie zu klein geworden ist, bekommt das wilde Mädchen einen Anfall, weil ich die Kleider dem Fuschulkind weiter vererbe. Dabei bekommt das wilde Mädchen immer neue Sachen und das Fuschulkind trägt ihre abgelegten Kleider auf. SIe könnte sich viel eher beklagen.
Die letzten Tage sind wieder geballte Motztage. Ich komme nicht um hin. Ich würde es am liebsten Kotzbrocken-Episode nennen.
Das wilde Mädchen hat gerade zudem eine neue Angewohnheit. ALLES wird mit einem lauten, sehr lauten und wütenden NAAAAIIIINNNNN! beantwortet. Oder sie stellt mir eine Frage, ich beantworte sie und bekomme dann gesagt, das wäre nicht das was sie wissen wollte. Ich frage dann nach und bittet sie ihre Frage nochmal zu wiederholen oder anders zu formulieren. Sie sagt dann, sie könne es nicht anders/besser fragen. Ich wiederhole sodann ihre Frage, um zu sehen, ob ich sie richtig verstanden habe, aber weiter komme ich nicht. Dann werde ich angebrüllt. Ich verstünde sie einfach nicht. Und Antworten die ich gebe, werden als falsch deklariert.
Ich versuche es dann mit Ruhe und Gelassenheit, aber wenn ein kompletter Tag so läuft, dann hab ich keine Lust und Geduld mehr am Abend. Ich mag nicht mehr.
Somit unterband ich neulich ihr u n e r t r ä g l i c h e s lautes Gebrüll mit noch lauterem und sehr bestimmten Gebrüll und verwies sie des Raumes. (Wenn es jemand besser kann in einer solchen Situation, solle er es ausprobieren und mir vor machen. Ich lade herzlich dazu ein.) Wir wollten nämlich eigentlich gerade essen und ich sehe nicht ein, dass 3 friedliche und hungrige Kinder, davon ein Baby welches völlig irritiert war, den Raum verlassen um die Situation zu entschärfen, weil ein Kind völlig am Rad dreht. Und zwar aus in der Situation völlig unerklärlichem Grund.
Seltsamerweise, und das macht mich irgendwie fertig, unterbricht so ein Ausbruch meinerseits dann die Endlos-Randalierer-Platte des wilden Mädchens, sie kommt wieder zu sich und ist handzahm, als sei nichts gewesen. (So war es schon immer.)
Wir konnten dann sogar, wie wir es uns angewöhnt haben, seit sie ihre Gedanken verbalisieren kann, über den Tag sprechen.
Ich bat sie mir doch konkret zu sagen, was genau sie an diesem Tag so nachhaltig verärgert hätte und was anders hätte laufen sollen, nach ihrer Meinung.
Sie sagt dann, sie wisse es auch nicht. Ihr Körper wäre dann einfach sauer.
Ok.
Nach und nach kam dann ein kleiner Grund am Vormittag zu Tage, der aber schnell mit ein paar Worten zu regeln gewesen wäre. Vor allem war ich an dem Grund nicht beteiligt und bekam aber trotzdem ihren kompletten Unmut ab.
Wenn dann diese unerfreuliche Episode am Tag vorbei ist, dann ist das wilde Mädchen das großherzigste und tollste Kind.
Was wir jetzt forcieren für das wilde Kind sind Reitstunden. Zu ihrem 8. Geburtstag Anfang Juli bekam sie als Geschenk Reitstunden. Und wir haben durch Zufall auch die perfekte Reitlehrerin erwischt. Sie ist eigentlich Reittherapeutin und ist sehr einfühlsam mit Mensch und Tier. Der Umgang und die Sprache des Ponys werden ebenso gelehrt, wie alles drum herum und das Reiten…Ganz toll!
Unser wildes Mädchen kann im Umgang mit Pferden ihren forschen Willen und ihr zartes Gemüt in Einklang bringen und ausleben. Nonverbale Kommunikation und feine Schwingungen sind ihr Ding. Das Pony erdet sie. Sie ist an so einem Tag ganz ausgeglichen.
Wir brauchen unbedingt mehr Reitstunden. Schnell und viele. Ich freue mich ebenso wie das wilde Mädchen immer auf den nächsten Termin.
4 Antworten auf „Von Wutanfällen und ausgleichendem Hobby“
Hallo,
ein wenig mußte ich vor ich hin hingrinsen, nicht weil ich die Situation unterschätze, sondern weil ich dachte Du schreibst über unser Kind;-) Alle diese „Argumente“ kenne ich auch. Phasenweise wurden Socken und Unterhosen auf linkd getragen, weil sonst die Nähte störten. Leggings können heute bequem sein und morgen unerträglich, wegen der Nähte…..allerdings muß ich sagen, dass es besser geworden ist. Sie wird bald 11, vielleicht wächst es sich ein wenig raus?!
Darf ich fragen wo in Köln die Reitstunden sind? Ich würde das auch gerne ausprobieren, möchte aber nicht immer so weit fahren müssen.
Gruß
Andrea
Auch ich habe hier ein ebenso sensiblen und extrem reizoffenen Vulkan zu Hause sitzen, mit genau den gleichen Baustellen. Und auch hier helfe ich ihr nur aus Situationen heraus, wenn ich ebenfalls explodiere und brülle. Sie ist inzwischen 7 und kann ihre Gefühle leider noch nicht so gut verbalisieren. Corona hat auch sie wieder deutlich aus der Bahn geworfen. Auch sie ist sonst so sozial, herzlich und feinfühlig. Ihre colerischen Wutausbrüche, ihre Lautstärke, ihre Schwankungen und ihre Strukturbedürfnisse zu begleiten, ist sehr herausfordernd und Kräfte zehrend.
Hallo,
aus der Entfernung ist es ja immer schwierig, etwas zu sagen, doch ich will es mal versuchen – auch wenn ich euch nicht kenne.
Es kommt ein wenig so herüber als würdest du versuchen, deine Wut unten zu halten, wenn du die „anspruchsvollen“ Wünsche deiner Tochter nicht erfüllen kannst. Kann es sein, dass du deine Wut ihr gegenüber zunächst nicht verbalisieren möchtest? Dann wird deine Tochter vermutlich deinen unausgesprochenen Frust spüren und dir deinen inneren Widerstand in ihrem eigenen Verhalten spiegeln. Sie lebt dann sozusagen den Widerstand aus, den du in dir unterdrückst. Sie holt dein Gefühl an die Oberfläche, weil sie sich nicht spüren kann bzw. verunsichert ist, wenn sie nicht weiß was unterschwellig in dir vorgeht. Sagst du deiner Tochter klar, wann deine eigene Grenze erreicht ist? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder sich wohler fühlen, wenn Eltern ihre aktuellen Emotionen offen und sachlich bekanntgeben.
Das zu meinem Eindruck aus der Distanz. Falls ich falsch liegen sollte, dann zieh dir meine Worte einfach nicht an oder melde mir auch zurück, wenn es so nicht zutrifft.
Liebe Maggie,
danke für deine Beobachtung. Tatsächlich bin ich emotional den Menschen, die mir nahe sind, ein offenes Buch und unterdrücke nichts. Natürlich versuche ich mich innerlich zu sammeln und auch Vorbild zu sein, nicht direkt auszuflippen.
Aber ja, es ist etwas dran, dass meine Tochter etwas aus mir heraus kitzelt. Sie spürt immer, ob mich etwas beschäftigt. Manchmal sind das aber Thema, die einfach nur uns Erwachsene belasten und im Detail nicht mit den Kindern besprochen werden müssen. Ich teile mich zwar immer mit und erkläre meine Laune und deren Gründe Kind gerecht.Dennoch war und ist das wilde Mädchen seit je her ein intensives Kind und braucht auch immer eine klare Linie. Sobald ich die kräftemäßig mal nicht bieten kann, gerät alles ins Schlingern. Sie muss lernen damit umzugehen, dass im Leben nicht immer alles gleich läuft. Und dabei unterstützen wir sie so gut wir können.
🙂