Samstag abend, zwei Kinder und ich kramen noch ein bisschen draußen. Die Kinder spielen auf dem Gehweg vorm Haus. Doch plötzlich höre ich die Hummel weinen, wie sie sonst nicht weint und die große Schwester ruft nach mir, was mich sofort aufschrecken lässt. Üblicherweise bin ich extrem entspannt bei allem und nicht schnell aus der Ruhe zu bringen. Platzwunden, Armbrüche….kein Problem. Die Drittklässlerin erklärt mir, wie die Hummel gestürzt ist. Sie ist dem Kinn auf einen Betonblumenkübel geknallt. Mir schwant nichts Gutes. Das ist eine der wenigen Situationen, die mich wirklich alarmieren.
Ich weise an, alle Fahrzeuge und sonstigen Kram einzusammeln und renne mit der Hummel auf dem Arm ins Haus. Erstmal checken was blutet. Zähne und Zunge sehen gut aus. Aus Nase oder Ohren läuft auch nix. Eine Schürfwunde am Kinn hinterlässt Blutspuren auf meinem Oberteil. Die Hummel weint, beklagt Schmerzen am Kinn und an der Backe. Wir kühlen zunächst, trösten und machen weiter „Inventur“. Die Hummel hält den Mund komisch geöffnet. Ich biete ihr Wasser zum Trinken an, um zu überprüfen ob das funktioniert. Das tut es nicht. Sie kann den Mund nicht schließen, das Wasser läuft heraus. Ich weiß schon, dass wir ins Krankenhaus müssen. Ich weiß nur noch nicht so genau, wie dringend und ob wir selbst fahren. Ich verschaffe mir Zeit und präpariere die Hummel erstmal mit einer Windel (sicher ist sicher), kann dabei sehen, ob am Körper auch irgendwelche Blessuren sind und wie sie sich bewegt. Dahingehend ist alles gut, aber sie weint weiter und anders als sonst und sagt das Gesicht täte weh. Ich zittere. Irgendetwas ist definitiv mit dem Kiefer und das ist scheiße. Ich beschließe einen Rettungswagen zu rufen. Ich möchte weder selbst fahren, noch möchte ich, dass der Mann uns fährt und die aufgeregten Geschwister alleine zu Hause lässt, noch dass alle mitfahren.
Die Hummel wird auch sichtbar müde auf meinem Schoß. Ich rufe 112 an und höre mich gespenstisch ruhig Adresse, Name und was passiert ist durchgeben. Sie sind unterwegs.
Die großen Kinder bitte ich ein paar wichtige Kleinigkeiten in eine Tasche zu packen. Der Mann steht am Herd und rührt in einem Topf. Alle wirken mechanisch und beinahe gleichgültig, was ich auch lieber mag, als besorgte Hektik. Die wütet nämlich in mir drin. In uns allen auf die eine oder andere weise. Aber es hat eine gewisse Absurdität. Das Essen riecht so gut! Mein Magen knurrt. Ich weiß, ich werde es nicht essen können.
Die Sanitäter sind da. Untersuchen, beschließen, wir fahren zur Uniklinik. Die Hummel, welche sonst vor Unbekannten zurückschreckt und eher nicht kooperiert, macht alles mit, verlangsamt, so scheint es. Zwischendurch nickt sie ein. Das gefällt den Sanitätern nicht. Ich meine auch, es bilde sich ein Bluterguss unterm Auge. Es könnte aber auch von der Müdigkeit kommen. Ich weiß es nicht. Ich verliere kurz meine sonst zumeist treffenden Anamnesefertigkeiten. Zur Sicherheit holen sie einen Notarzt dazu. Ich sitze schon angeschnallt im Rettungswagen neben der Hummel. Mein Bein zittert unkontrolliert Ich bin hin und her gerissen zwischen Sorge und vielleicht völlig übertrieben einen Rettungswagen gerufen zu haben. Ich spreche das laut aus. Die Sanitäter sagen, ich hätte definitiv alles richtig gemacht.
Als wir losfahren bin ich kurz verwirrt. Zwei Sanitäter waren im Rettungswagen gewesen. Jetzt sitzen aber zwei Männer hinten mit drin und der Rettungswagen fährt trotzdem. Ich brauche einen Moment bis ich zusammen kriege, dass der Notarzt mit drin geblieben ist.
Währen der Fahrt bekommt die Hummel einen Teddybären von einem der Sanitäter geschenkt, den sie fortan fest im Arm hält.
In der Uniklinik angekommen, werden wir sofort in einen Behandlungsraum der Notaufnahme geschoben. Ich zähle mit Pflegern und Sanitätern 12 Erwachsene. Alle verteilen sich emsig an ihre Positionen. Ein Pfleger sagt: Ich nehme die Mutter! (in einer anderen Situation hätte ich deswegen einen Lachanfall bekommen und gesagt. Das entscheide immer noch ich.) und zu mir: Kommen Sie hier rüber, dann stehen wir nicht im Weg. Er sagt es freundlich. Ich fühle mich nicht blöd bevormundet. Die Hummel wird etwas unruhig, ich darf und soll zu ihr. Sie übergibt sich und weint. Ich beruhige sie, sie würgt nochmal kurz. Dann wird sie von der nun schmutzigen Transportliege sanft auf die Untersuchungsliege gehoben. Alles wird ihr und mir erklärt. Sie wird wieder ruhiger. Lässt die verschiedenen Leute in ihre Augen leuchten, in den Mund gucken und sogar ohne Murren einen Zugang legen. Dabei war das eine blutige Angelegenheit. Der Verursacher entschuldigt sich für die Sauerei. Aber der Zugang liegt top und schmerzlos und hält bis er nicht mehr gebraucht wird ohne Probleme zu machen. Die Hummel schaut nur reglos. Alle stellen Fragen an sie und mich. Was ist wie passiert. Fühlst du das? Siehst du das? Kannst du dies? Ich stehe ganz ruhig da, halte schlapp meine Tasche in der Hand und warte. Die Gehirnerschütterung macht mir irgendwie keine Sorgen. Ich will wissen, was mit dem Kiefer ist. Die Ärzte:innen beraten. Sie wollen sicher gehen, dass nichts an Halswirbelsäule und dem Kopf ist. Weil die Hummel so reduziert wirkt. Ich denke bei mir, sie hat einen Schock vom Sturz und ist hundemüde, weil sie den ganzen Tag draußen gespielt hat. Außerdem ist sie mit Unbekannten immer eher reaktionsarm. Aber ich bin zu aufgeregt, um klar unterschieden zu können. Ich lasse die Fachleute machen. Dass etwas mit dem Kiefer ist, ist allen klar. Im besten Fall nur ausgerenkt.
Das Ärzteteam beratschlagt sich und entscheidet sich zähneknirschend für ein CT. Das hat zwar leider viel Strahlung, geht aber schneller. Ein MRT würde 20 Minuten dauern und man müsste erst eine Narkose geben. Ich bin mit dem CT einverstanden. Was ist, wenn mich mein Gefühl trügt und es ist doch schlimmer ist, als ich eigentlich denke.
Wer die Hummel kennt weiß, warum ich dann kurz Stress habe, als die Hummel alleine auf einer Liege angeschnallt ins CT muss. Ich darf ja nicht mit in den Raum. Glück im Unglück ist sie so müde, dass sie kaum Energie hat sich zu wehren und ich gebe so beiläufig wie möglich zu verstehe, dass ich im Nebenraum bin und auch nicht weg gehen werde. Ich frage, ob ich in den Überwachungsraum mit rein darf. Natürlich darf ich. Ich kann sogar über ein Mikrophon mit der Hummel reden. Ich plappere irgendwas Beruhigendes und Sorgloses. Einmal lachen alle im Raum auf. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe. Ich arbeite auf Autopilot, bin äußerlich völlig ruhig und stabil. Die Hummel hat super mitgemacht. Wir nehmen das dösende Kind wieder in Empfang. Im Untersuchungsraum ist nun eine Ärztin für Mund- Kiefer- Gesichts-Chirurgie dazu gekommen. Ich schaue mit auf die gemachten CT Aufnahmen. Ich sehe im großen und ganzen Symmetrie auf den Aufnahmen. Nur am Kiefergelenk, da sehe ich auch, was die Ärztinnen sehen. Es ist gebrochen. Im logischen Winkel zum Aufprall. Fuck.
Währen die Ärztinnen noch reden, stehe ich etwas verloren im Raum. Die Hummel döst. Das Schmerzmittel und Kochsalzlösung laufen über die Kanüle. Eine Schwester fragt, ob ich mich setzen möchte. Ob es mir gut geht. Ich fühle mich aber stabil und versichere, dass ich rechtzeitig merke, wenn ich abklappe. Sie bietet mir Wasser an, was ich plötzlich eine sehr gute Idee finde. Mein Mund ist ganz trocken. Ich trinke und stehe mit meinen Plastikbecher in der Hand komisch im Raum rum, als sei ich auf einer Party zu der ich nicht geladen bin. Den Tetrapack Wasser lässt mir die Schwester da und ich werde ihn die ganze Nacht mit mir mit schleppen als eiserne Reserve. Ich kenne schon Krankenhausaufenthalte hochschwanger, an denen ich weder Essen noch Trinken gereicht bekam. Sicher ist also sicher.
Die Ärztinnen besprechen mit mir dann den Befund und wie der Bruch behandelt werden soll. Üblich ist bei Kindern eine Art Zahnspange, die lange Zeit getragen werden muss. Das wäre wahrscheinlich das Mittel der Wahl. Man müsse sich noch beratschlagen. Ich frage, was ist, wenn sie das Ding nicht toleriert. Ja, was dann? Sehen wir dann. Ok. Aha. Ich soll Montag früh um 8 zur MKG-Ambulanz kommen. Dann würde gesagt, wie es final gemacht wird.
Dann erklärt man mir, dass sonst alles soweit gut aussieht. Aber wegen der Gehirnerschütterung kämen wir über Nacht zur Überwachung erstmal auf die Kinderintensiv. Man würde sich um einen Platz kümmern. Würde einen Moment dauern. Während noch alle da sind, laufe ich schnell mal zur Toilette.
Das verkabelte Kind schläft nun. Ich setze mich auf einen Hocker, streichle ihren Arm und warte. Eine Schwester fragt, ob ich etwas brauche. Ich sage: Essen. Mein Blutzucker ist ziemlich runter, ich hab seit Mittags noch nix gegessen. Sie organisiert mir zwei Joghurts. Ich schaufle diese gierig runter und gebe den Stand der Dinge an die Familie weiter. Zu Hause ist das Essen angebrannt. Außerdem gebe ich der Schule durch, dass ich Montag definitiv fehlen werden und mich Montag melde, wie es weiter geht.
Es wird ruhig im Raum. Alle sind in einem anderen Behandlungsraum. Ich bin alleine mit der schlafenden Hummel und dem Piepen des Monitors, der alle Vitalwerte der Hummel anzeigt. Plötzlich ist das Geräusch unregelmäßig und ein zusätzlicher Ton ertönt. Ich erschrecke mich, mein Herz rast. Niemand ist da. Was ist, wenn was ist? Ich sehe mich hektisch im Nebenraum rum. Niemand zu sehen. Das Piepen wird wieder regelmäßig. Ich entspanne mich und schalte meine Ratio wieder ein. Alles gut.
Dann kommen zwei Krankentransporter, um die Hummel und mich in die Kinderintensiv zu fahren. Ich versichere der Hummel, dass ich nicht von ihrer Seite weiche, als sie kurz etwas panisch aufschaut.
Draußen ist es schon dunkel. Wie spät mag es sein? Ich schaue auf die Uhr, vergesse aber wieder was ich abgelesen habe.
Auf der Kinderintensiv kommen wir in einen Raum mit zwei Neugeborenen an gefühlt Millionen Schläuchen. Es blinkt und piept überall. Die Hummel wir umgebettet und auch verkabelt. Die Schwester möchte der Hummel eine Windel anziehen. ich sage, sie trägt schon eine. Das habe ich ja vorsorglich zu Hause schon gemacht. Aber die Decke, auf der die Hummel liegt, ist ziemlich nass. Ich sage, das sei Schweiß. Die Hummel schwitzt schnell. So ist es dann auch tatsächlich. Zur Sicherheit wird auch noch Fieber gemessen. Ist aber normal.
Alle sind sehr nett und fürsorglich. Ich bekomme die bequemste auftreibbare Liege (eine Art Gartensliege) und ein frischbezogenes Plümo für die Nacht. Ich halte die Hand der unruhigen Hummel und versuche „Normalität“ zu erzeugen. Die Hummel beobachtet die Pflegekräfte. Ich erzähle, dass wir im engen Umfeld auch einige Menschen kennen, die genau diese Arbeit machen und eine sogar in einem anderen Gebäude, aber auf diesem Klinikgelände arbeitet. Die Hummel staunt und scheint irgendwie erleichtert. Ich summe unser Schlaflied. Es beruhigt mich selbst auch. Bald schläft sie ein. Ich versuche eine bequeme Position zu finden. Aber ich finde keinen Schlaf. Ich bin super müde, aber auch super aufgekratzt. Und dann das Piepen, das Blinken. Die Minuten auf der bunten Uhr an der Wand schleichen voran. Der Monitor der Hummel blinkt im Takt zu einem leisen Alarmton. Ein Wert sinkt deutlich erkennbar. Ich bekomme wieder Herzklopfen. Wie sich dann herausstellt, schnorkelt die Hummel im Schlaf, so dass manchmal die Atmung kurz flach ist. Ich verstehe. Ich starre vor mich hin. Starre auf Monitore, Starre mein Kind an. Starre auf die Uhr. Denke über alles nach. Was bedeutet das jetzt alles? Wie schlimm mögen die Schmerzen sein ohne Schmerzmittel? Wie lange muss die Hummel Schmerzmittel nehmen? Klappt das mit der „Zahnspange“? Wie lange darf die Hummel nicht in die KiTa? Wie regeln wir das? Ich beobachte die emsigen Schwestern, die sich engagiert in kurzen Abständen um die Babys kümmern. Manchmal wimmern die Babys. Die Mama des einen Babys wird mitten in der Nacht herein gebracht. Es war ein Kaiserschnitt am späten Nachmittag. Jetzt ist sie fit genug, um ihr Baby zu sehen. Sie weint leise. Ich bin ganz voller Mitgefühl. Sie darf es noch nicht raus nehmen, wegen der Beatmung. Ich seufze. Wenn eine Schwester im Raum ist, laufe ich schnell mal zur Toilette. Einmal wird die Hummel wach und weint. Sie hat sich erschreckt, als sich die Manschette des Blutdruckmessgerätes an ihrem Fußknöchel aufpumpt. Ich erkläre was das ist. Der Kiefer tut ihr weh. Sie bekommt nochmal Paracetamol über die Kanüle, entspannt sich wieder und schaut sich wach im Raum um. Ich erkläre, dass da Babys liegen. Sogar ohne die Mamas. Die Hummel will die Geräte erklärt haben. Als sie alles „weiß“, legt sie sich hin und schläft wieder. Die Zeit schleicht. Ich schreibe eine konfuse Packliste für die Familie, was sie mir am nächsten Tag alles ins Krankenhaus bringen sollen. Irgendwann um 4 Uhr nicke ich ein. Um 5 bin ich wieder wach. Ich fühle mich wie ein Zombie und wünsche mir den Morgen herbei. Die Hummel wird auch wach und ist weinerlich. Sie beklagt, dass niemand die Schrammen an ihrer Hand verarztet hat. Ich sage, dass schafft der Körper alleine. Der repariert sich üblicherweise selbst sehr gut. Nur bei manchen Sachen muss die Medizin unterstützen.
Schichtwechsel.
Es dauert nicht lange und wir werden abgeholt und auf die Normalstation der Kinderklinik gebracht. Wir bekommen ein ruhiges Zimmer ohne piepende Geräte. Eine nette Mama mit ihrem Sohn liegt drin. Ich bin dankbar über ein richtiges Bett. Die Hummel und ich strecken uns aus und kuscheln. Nach einem kleinen Frühstück bin ich wieder etwas wacher und bemerke wie verlottert wir aussehen. Die Hummel hat noch Staub im Gesicht vom Spielen, das Shirt ist löchrig und voller Blut und Kotzflecken. Ich bin verschwitzt und habe auch Blutflecken auf meinem Kleid. Außerdem bin ich blass und müsste mir die Haare waschen. Egal.
Draußen ist traumhaftes Wetter. Es kommt mir vor, als sei schon Nachmittag. Dabei ist es erst 9 Uhr. Eine Schwester kommt rein und sagt, wir sollen in die Mund-Kiefer-Chirurgie im 13 Stock im Bettenhaus gehen. Ok. Wir tappen los. Oben angelangt haben wir im Wartebereich einen traumhaften Blick über Köln. Dann kommt eine Ärztin und sagt, es gäbe eigentlich nichts zu besprechen. Sie wüsste nicht, warum wir geschickt worden seien. Wir würden ja Montag früh vorstellig. Sie wäre aber nun 24 Stunden im Haus und wenn etwas wäre, sollten wir uns melden. Wir gehen wieder.
Die Hummel und ich vertreten uns draußen noch ein wenig die Beine. Aber die Hummel will auf den Spielplatz und fängt an zu klettern. Ich sehe sie vor meinem geistigen Auge mit der Kanülenhand im Sand landen oder sich den Kiefer nochmal anschlagen. Wir gehen lieber wieder rein. Die Frau und ihr Sohn werden entlassen. Wir sind alleine auf dem Zimmer. Ich kommuniziere mit meiner Familie, die bald schon eintrudelt. Die Hummel freut sich sehr und möchte gar nicht mehr, dass alle gehen. Wir machen eine kurze Mittagspause. Die Hummel schläft ein und meine Eltern kommen zu Besuch. Als die Hummel wieder wach ist, gehen wir eine Runde spazieren. Am späten Nachmittag fahren meine Eltern wieder, es gibt Abendbrot.
Die Hummel isst zwei Wackelpuddings, ein bisschen Apfelmus und trinkt ein Päckchen Milch. Dann weint sie, weil sie die Geschwister vermisst. Sie weint bitterlich. Wir machen einen Videoanruf zu Hause. Danach tröste ich die Hummel mit ein paar Folgen Peppa Wutz. Mich überfällt bleierne Müdigkeit. Ich möchte nur noch schlafen.
Mitten in der Nacht wache ich beinahe erfrischt auf. Dann kommen zwei Schwestern leise rein und teilen mit, sie müssten leider noch jemanden einquartieren. Leise bezieht eine Mama mit einem Baby das Zimmer. Es stört unsere Nachtruhe nicht. Die Hummel und ich schlafen wie Steine. Ich schlafe mit ihr im Krankenbett. Ich will auch nirgendwo anders liegen.
Am nächsten Morgen finden wir uns einigermaßen ausgeruht und pünktlich bei der Mund-Kiefer-Ambulanz ein. Eine gefühlt endlose Schlange Rentner mit Kopfverletzungen steht da schon. Als könnte der Moment nicht absurder sein, muss ich weinen und plötzlich entlädt sich die Anspannung. Die Ärztin von Samstag aus der Notaufnahme kommt zufällig vorbei und sagt, sie käme gleich zu uns. 2 Minuten später winkt sie uns an der Warteschlange vorbei und teilt mit, dass sie nach eingehender Beratung die Behandlung mit der „Zahnspange“ auf jeden Fall versuchen wollen. Wir sollen ab 9 Uhr rüber zur Zahnklinik gehen.
Weinend laufe ich mit der Hummel zurück ins Zimmer. Dort kommt das Frühstück und eine Schwester sagt, wir hätten aber doch einen „gelben Zettel“ mitnehmen müssen, wenn wir zur Untersuchung gehen. Ich sage wahrheitsgemäß. dass ich davon zum ersten Mal höre. Sie scheint leicht verstimmt. Die Hummel isst ein bisschen Grießbrei. Bald darauf, organisiere ich diesen ominösen „gelben Schein“ und wir laufen wir wieder los. Zur Zahnklinik läuft man ganz gemütlich über das Klinikgelände.
In der Zahnklinik ist es ungemütlich. Zum Anmelden muss man einen Bon ziehen und im Warteraum warten, bis man dran ist. Auch wenn man einen „gelben Schein“ hat. Ich muss uns dann anmelden und Formulare ausfüllen, so als seien wir noch nirgendwo gewesen. Wieso sind die nicht vernetzt, denke ich. Wir müssen warten, in einem sehr vollen Warteraum. Die Hummel langweilt sich und bekommt Durst. Ich hab zum Glück noch ein Päckchen Kakao in der Tasche. Ich weine schon wieder leise vor mich hin.
Wir werden schließlich von einer Fachkraft eingesammelt und nach oben in die Kieferorthopädie gebracht. Dort soll ein Abdruck vom Gebiss der Hummel gemacht werden. In der Kieferorthopädie soll ich uns nochmal komplett neu anmelden. Das Versichertenkärtchen MUSS auch eingelesen werden. Aber ich finde es nicht im Portmonee und weiß auch gerade nicht, wo ich es hingesteckt habe und sage, dass ich die Karte ja nun in den letzten beiden Tagen auch schon sehr oft vorgelegt habe und ob sie nicht vernetzt seien. Nein. Dann müsste ich bei meiner Krankenkasse anrufen und bestätigen lassen, dass wir dort versichert sind. Kurz möchte ich wieder losheulen, wühle dann nochmal in meiner Tasche und da finde ich die Karte. Puh.
Ergebnis, nach weiterer Wartezeit: Es konnte wegen der Schwellung noch kein Abdruck gemacht werden. Am Mittwoch morgen wird einer gemacht. Vor Pfingsten ist dann hoffentlich die Zahnspange drin.
Ich entlasse uns sodann aus der Klinik und beschließe mit der Hummel mit dem Bus nach Hause zu fahren. Wir bummeln zur Bushaltestelle, unterwegs gibt es noch ein Eis und wir kommen dann wohlbehalten zu Hause an. Ich muss zu Hause sofort wieder weinen. Ich bin echt durch, obwohl ich weiß, dass es im Grunde alles glimpflich abgelaufen ist und wir das schon wieder hinbekommen. Dass die Hummel erstmal einige Wochen nur Breikost essen darf ist kein Problem. Etwas Sorge macht mir das Tragen der Zahnspange. Wir arbeiten schon prophylaktisch daran, dass sie das Ding akzeptiert. Ein Geschwisterkind trägt auch eine Zahnspange. Ich denke aber, die nächsten Wochen werden noch eine Aufgabe, die ich aktuell nur erahnen kann.
Aktuell bin ich nun zu einer überbesorgten Mama mutiert, die hinter jeder Ecke eine Gefahrenquelle vermutet und die Hummel nicht aus den Augen lässt. Das ist auch nötig, denn das Kind klettert und turnt, als sei nichts geschehen. Sie wollte sich eben noch einen Parcour zum Springen bauen. Ich drehe durch mit diesem verrückten Kind.
Optisch sieht man den Kieferbruch auf den ersten Blick nicht. Wenn man die Hummel kennt, merkt man es am Sprechen und sieht auch, dass der Unterkiefer verschoben ist.
Schmerzen hat sie zumeist morgens, weil sie auf der Seite schläft und sich dann natürlich alles verschiebt. Und abends, wenn sie müde ist, beklagt sie „Ohrenschmerzen“.
to be continued
6 Antworten auf „Krasser Scheiß, was alles passieren kann…“
Hab deinen Text gerade gelesen und auch ein paar Tränen geweint. Kann es ein bisschen nachvollziehen. War mit meiner Großen ein paar mal mit Fieberkrämpfen im Krankenhaus. Fülle dich ganz fest gedrückt. Und ja ich kann es nachvollziehen die Kleinen nicht mehr aus den Augen zu lassen, ich denke es wird mit der Zeit besser. Und erstaunlich was Kinder so aushalten. Den ich würde definitiv nicht klettern und toben. 🙃.
Alles gute eurer Familie. 🍀
Oh Gott. Ich habe die Luft angehalten beim Lesen. Alles Gute euch❤️🩹
Oh man, was für eine Story! Alles Gute und alle gedrückten Daumen für euch, dass es der Hummel bald besser geht und sie die Spange akzeptiert 🍀✊🏻
Das mit dem nachträglichen Weinen, wenn eigentlich alles vorbei und „gut“ ist, kenne ich auch nur zu gut! Wenn du magst, schicke ich dir eine virtuelle Umarmung, du machst das echt gut ❤
Was für eine Story!!
Verstehe dich so gut- bei laufen auch immer erst hinterher die Tränenflüsse… reinigt von innen 😉
.Ich schicke euch eine ganze Wagenladung Glück und gute Gedanken! Und ganz viel gute Nerven, fühle dich gedrückt!!
Ich wünsche euch ganz viel Kraft und viele kreative Lösungen für alle Herausforderungen die das ganze vielleicht mit sich bringen wlrd. Ich konnte deine Gefühle beim Lesen direkt mitfühlen und wurde in eine ähnliche Situation mit meinem Kind zurück katapultiert. Gute Besserung kleine Hummel 🐝
Das hört sich schon beim Lesen ganz schrecklich an😭. Ich wünsche der Hummel gute und schnelle Besserung 🍀. Und euch als Familie viel Kraft für die bevorstehende Zeit.