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...und was es sonst noch gibt seufz

Gedankenurlaub- wenn der Kopf mal „verreist“

Ich sitz hier so mit einem Handtuchturban auf dem Kopf und Schlabberlook. Die Bude sieht aus wie ein Schlachtfeld. Und das ist nicht übertrieben. Aber es ist mir fast egal. Ich lass das jetzt so und bringe das morgen früh in Ordnung.
Der Mann ist heute unterwegs und nächtigt wahrscheinlich sogar auswärts. Das bedeutet für mich einen Abend für MICH. ALLEIN. Naja fast. Die Kinder sind ja da. Wenn ich Glück habe schlafen sie gut und ich habe me-myself-and-I-Zeit. Inshallah (So Gott will), sagt der Muselmane.
Wahrscheinlich falle ich vom Sofa, bevor der Abend richtig anfängt, denn die Kinder verwickeln mich derzeit in ein wildes Durcheinander an überschäumender Liebe und unfassbarer Verzweiflung. Ich bin müde. Ich schrieb es schon. Und die letzte richtigen Päuschen für mich, haben zwar meine wirren und komplett irrationalen Ausbruchsgedanken weg gebügelt, aber waren dennoch Tropfen auf den heißen Stein.

Ich könnt mal so´n Urlaub vertragen. Nen richtigen! Echten. Am besten mit Vollservice. Nach sechseinhalb Jahren Dauereinsatz.

Wie kann ich mir nun sowas wie Urlaub zaubern?, dachte ich so bei mir. VOR den Kindern bin ich zum Glück ein bisschen rum gekommen und habe die Reisen sehr bewusst gespeichert. In meinem Kopf. Die paar Fotos dazu sind sozusagen nur Beweis für die gespeicherten Erinnerungen. Und somit können mich vornehmlich Gerüche, aber auch Musik und Stimmungen sofort wegbeamen in eine dieser Reiseerinnerung. Sofern mich nichts davon abhält. z.B. die Kinder.

Das derzeitige Sommerregenwetter mit bisweilen leicht stürmischen Abschnitten, erinnert mich doch sehr an den irischen Sommer, der sich gern durchwachsen präsentiert. Irgendwie mag ich das, obwohl mich grundsätzlich eher zu südlichen Gefilden hingezogen fühle.

 

Jedenfalls gab es ein paar Jahre, in denen ich Sommer und Winter nach Irland reiste. Nicht selbst gewählt, aber doch dann unerwartet begeistert. Ich begleitete einen Lebensabschnittsgefährten.
Im irischen Südwesten gab es eine Bucht und ein funktionstüchtiges Haus dicht an der felsigen Küste mit jede Menge Land drum herum, aber keinen Fernseher, kein Radio, kein Telefon. Nichts was mit modernen Medien zu tun hatte. Die nächsten Nachbarn, wenn sie denn zugegen waren, lebten in einem Häuschen 20 Fußminuten bergauf. Mit dem Auto über einen holprigen, aber mit wild wachsenden Fuchsien gesäumten Feldweg nur schlecht zu erreichen. Und die nächste Ortschaft lag über einen Bergkamm hinweg auch 30 Minuten Fahrt entfernt. Sofern man über ein Auto mit Allradantrieb verfügte.
Es war einsam. Und wenn kein Wind pfiff und das Meer ruhig in der Bucht lag, war es sehr still. SEHR still. Ich möchte es nachts fast gruselig nennen, wenn man diese echte Stille nicht gewohnt ist. Man hörte neben dem Rauschen des eigenen Blutes im Ohr, vielleicht ein knisterndes Kaminfeuer oder die Mäuse unter dem Holzboden und jedes leise Rascheln draußen. Ich habe mir sagen lassen, dass auch schon mal Schafe durch ein Fenster späten. Das habe ich jedoch nie erlebt.

Manchmal war es auch laut. Wenn der Wind an den Fenstern rüttelte und der Regen dagegen peitschte. Bei starkem Regen und Wind sprudelte das Wasser sogar durch die Fensterritzen. Wenn man die Haustür öffnete, musste man diese gut festhalten, weil der Wind sie einem sonst aus der Hand riss.

Aus den Wohn-und Schlafräumen blickte man in die Bucht hinaus. Morgens aus dem Bett heraus diesen Blick zu haben ist sehr schön. Ich liege dort sozusagen gerade.
Einen Blick auf den offenen Atlantik hatte man nur, wenn man über das Landstück auf ein paar Felsen kletterte. Das Haus war sozusagen in den Windschatten gebaut, was aus vielen Gründen sehr vernünftig ist in Irland. Die Natur ist schroff und wild und schafft noch mehr, als durch die Fenster zu regnen.

Nachts konnte man das Licht des Leuchtturms über die Felsen huschen sehen und bei Vollmond war das Land silbrig beleuchtet, wie von einem großen Scheinwerfer. Ich fand das schön und unheimlich zugleich. Unweit vom Haus waren die Überreste eines alten Keltenlagers. Und die Iren wissen eine menge Gruselgeschichten zu erzählen und sind sehr abergläubisch. Das befeuerte meine schon immer blühende Fantasie ungünstig. Jedoch haben die Kelten mir verziehen, dass ich über ihre alten Mauern geklettert bin. Das darf man angeblich nämlich nicht.

Ich war die ersten paar Male fast geschockt von der Einsamkeit und auch davon, so von der Außenwelt abgeschnitten zu sein.
Gleichzeitig kam ich mal richtig runter. Ich verschlang massig Bücher. Alles was in den Regalen zu finden war und ich brachte mir außerdem noch Bücher mit. Bei schlechtem Wetter las ich vor dem Kamin, den im Übrigen immer jemand Kundiges befeuern muss. Wenn ich nämlich „ne Kohle auflege“, liegt die da noch unversehrt am nächsten Tag. Ich hab kein Händchen für Feuer.
In einem Winter strickte ich auch. Zwei dicke lange Wollschals. Die Dame aus dem Wolllädchen, 45 Autominuten entfernt, sagte noch: „You won´t have knit it.“, als ich Wollnachschub kaufte und ihr meinen Anfang zeigte. Ich hatte ihr gesagt, wann wir wieder abreisen würden. Nun „I had knit it!“ (sagt man das so?) Ich zeigte ihr stolz mein etwas löchriges Anfängerexamenplar ( für die Strickkundigen: in patent, aber nur auf links gestrickt, versehentlich, weil konfus) an Riesenschal, als ich nochmal Wolle für einen zweiten nachkaufte. Im Übrigen war der Laden sehr sehr klein und sehr sehr voll. Wolle vom Boden bis zur Decke. In Regalen, in Kartons, lose gestapelt, in stehenden und hängenden Körben. Man konnte kaum gehen und stehen. Aber die Dame und die Wolle waren toll!

 

An windstillen Sommertagen saß ich draußen und las. Mit etwas Glück waren die Basstölpel in der Bucht. Diese großen weißen Seevögel mit den tollen blauumränderten Augen. Bei der Jagt stürzten sie sich wie dicke Findlinge ins Wasser. Es klang, als werfe ein Riese Felsbrocken in die Bucht. Ich saß stundenlang mit dem Fernglas da und beobachtet das Schauspiel.
Manchmal hoppelte ein Wiesel unter der Gartenliege hindurch. Mal eine Mäusefamilie oder kleine Singvögel. Wenn man da so regungslos rumsaß, bekam man immer Besuch.

Natürlich habe ich nicht nur rumgesessen. Wir sind auch rumgefahren oder haben weite Spaziergänge gemacht. Wenn wir rumfuhren, machten wir auch oft halt in Barleycove. Das ist eine kleine Bucht mit Sandstrand. Wirklich voll war es nie. Im Winter war man sogar immer allein. Ich mochte gerne auf den Horizont und die heranwogenden Wellen blicken und mich vom kalten Wind durchpusten lassen. Bei einem Spaziergang sind wir einmal übermütig bis in das alte Piratennest Crookheaven gelaufen. Zurück mussten wir Trampen. Es war eindeutig zu weit nochmal zurück zu wandern.

 

Was ich allerdings auch gern und ausgiebig tat, war über die zerklüftete Landzunge zu klettern, die an das Haus grenzte. Dort weideten Schafe, um deren Anfüher-Schafsbock man besser einen Bogen machte. Der Schäfer dazu hatte übrigens zwei Schäferhunde, so Bordercollies, die ich ja sehr hübsch finde, und die transportierte er in seinem Kofferraum. Aber so´n Heckkofferaum! Der hatte keinen Kombi!

Ansonsten hatte man von einem Felsen aus einen sehr schönen Blick auf den Atlantik. Bei passendem Wind bäumte sich die auflaufende Flut manchmal über 20 Meter hoch an diesem Felsen auf. Das waren Moment, an denen man lieber aus sicherer Entfernung zusah. Mich fasziniert diese Naturgewalt. Die frische salzige Luft. Die spritzende Gischt. Ich kann da ja ewig sitzen und ins wilde Wasser starren. Wenn man an eher ruhigeren Tagen weiter runter ans Meer kletterte, sah manchmal ein neugieriger Seehund aus dem Wasser. Ich habe mich jedes Mal erschreckt.
Mit etwas Glück konnte man auch Tümmler beobachten, die in der Bucht auf Makrelenjagt gingen. Komische Gewächse habe ich mir auch fasziniert angesehen. Auf den von Wind und Wasser zerklüfteten Felsen wuchs merkwürdiges Zeug. So Pflanzen, die man wohl allgemeinhin als Flechten betitelt.
Einmal war es so stürmisch, dass ich mich nicht mehr traute aufrecht über das Land zu laufen. Ich hatte wirklich Angst umgepustet zu werden. Obwohl ich mir albern vorkam, krabbelte ich bis zum nächsten Windschatten und hielt mich an den Grasbüscheln fest.

 

Tja, und so kann ich, am besten noch in Kombination mit der richtigen Musik das Meer vor mein geistiges Auge rufen und mich erinnern, wie elementar und frei ich mich fühlte.

Tatsächlich lernte ich in meinem letzten Winter in dieser Einsamkeit auch mal komplett alleine zurecht zu kommen. Alleiner war ich vorher und nachher nie wieder. Mein damaliger Lebensabschnittagefährte musste mit einer Blutvergiftung ins Krankenhaus. Ich mochte nicht in dem irischen Krankenhaus bleiben. Hat da schon mal einer gelegen? Die haben noch 6 Bettzimmer mit Vorhängen zwischen den Betten und so alte Lenoleumböden, dass man sich fragt, wo es die je zu kaufen gab. Mir ein Zimmer in Bantry suchen, wollte ich auch nicht.
Somit fuhr ich alleine ins Haus zurück. Und so sollte ich das einsamste Heiligabend meines bisherigen Lebens verleben. Immerhin hatte ich mir ein kleines Radio organisiert, dass munter englische Weihnachtslieder dudelte. Ein Telefon hatte ich ja nicht. Und so saß ich da. Und es war gar nicht schlimm. Es war ein Abend der inneren Einkehr. Wann ist man mehr bei sich, als in der totalen Einsamkeit?
Bloß als ich in den sehr frühen Morgenstunden erwachte, weil ich glaubte ein Auto gehört zu haben, da konnte ich nicht mehr schlafen und malte mir aus, was ich tun würde, wenn jemand käme. Hat das schon mal jemand durch gesponnen? Ohne Telefon? Ohne Nachbarn? Allein? Wehrlos? Ok, es gab eine Axt unterm Bett. Trotzdem….
Zur Beruhigung las ich noch eine ganze Weile und lauschte immer wieder und spähte in das undurchdringbare Dunkel der irischen Winternacht. Ich schlief in der Dämmerung erst wieder ein und am nächsten Tag auch etwas länger.

 

Jetzt habe ich doch durchgehalten ohne müde zu werden und habe mich an diese Irlandreisen erinnert. Das ist im Übrigen, wie ein Urlaub in Gedanken. Ich weiß schon mein nächtste „Reiseziel“. 🙂 Da geht´s in eine ganze andere Richtung. Mal sehen, wann man mich „reisen“ lässt.

Nun trage ich meinen behandtuchten Kopf ins Bett und werde zufrieden in die Kissen sinken und vom stürmischen Meer träumen. Gute Nacht!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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