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...und was es sonst noch gibt Es könnte so einfach sein

Ein ganz normaler Sonntag im September

Ermattet warf ich mich um 11.30 auf unser kleines durchgesessenes Sofa im Wohnzimmer. Ich hatte das Gefühl es sei bereits 14 Uhr.

Puzzleteile, Murmeln, ein Deckenberg mit Kissen verknotet, eine Tasche mit gemischtem Inhalt, zwei Prinzessinnenkleider liegen verstreut auf Sofa und Boden. Auf einer der Sofalehnen balancieren mit einem Mehrfachstecker verbunden ein altes Tablet und die beiden Handys der beiden großen Kinder zum Laden.

Unsere Hummel spielt extrem lautstark und phantasievoll und raumgreifend, Murmeln kullern über den Boden. Der Träger einer Tasche bildet den Rand einer Zirkusmanege mitten im Laufweg und die Murmeln sind die Protagonisten. 

Während ich nach dem Frühstück versucht hatte mit einem großen Kind die Tasche für die anstehende Klassenfahrt zu packen und dabei über, von der Hummel aufgereihte, Spielküchenteller auf dem Flurboden stieg, trugen andere Kinder im Wechsel Anliegen an mich heran. 

Mehrere Dialoge ließen mich daran zweifeln, ob wir diese Kinder vor Vollendung der Volljährigkeit lebenspraktisch fit gemacht bekommen. 

Ich bekam in Häppchen mitgeteilt, dass es nur noch ein passendes langes Beinkleid gäbe, ein Gürtel nicht zu finden sei und überhaupt, die Regenjacke ist eigentlich auch zu klein und die T-Shirts alle zu lang. „Zu lang????“ denke ich.

Ein Dialog ließ mich dann final schlapp und laut kreischend vor Lachen zusammen brechen.

Kind: „Ich brauche eine Taucherbrille.“

Ich: „Wo ist die?“

Kind: „Im Bad!“

Ich: „Da sind viele. Welche davon, die?“ Ich halte eine blaue Taucherbrille hoch.

Kind:  „Nein, die Dunkelblaue.“

Wir gehen zusammen ins Bad. 

„Die da. Aber die funktioniert nicht mehr. Die ist undicht. Ich brauche eine Neue.“ sagt das Kind. 

Zur Klassenfahrt, die morgen startet,  muss das Kind jetzt das mitnehmen was noch da ist. Immerhin finden wir noch eine zweite lange Hose, die noch passt. Und die Regenjacke funktioniert notdürftig nochmal.

Ich notiere nach meinem Lachanfall auf meinen imaginären Einkaufszettel: Neue Hosen, neue Regenjacke, neue Taucherbrille etc. 

Ich hoffe inständig, dass sich das Landesamt für Besoldung nicht zu viel Zeit mit der Auszahlung meines Gehaltes lässt, wobei das per Schreiben schon angekündigt wurde. Also, dass es Verzögerungen geben werde. Willkommen im Vertretungslehrerinnenleben. Neue Jacken müssen warten.

Ich zog mir die kaputte Taucherbrille über den Kopf und sah damit so irre aus, wie ich mich fühlte.

Als nächstes machte ich einen zweiten Anlauf mein verschollenes Portmonee zu finden. Kurz bevor ich glaubte an Demenz erkrankt zu sein, fiel mir erleichtert ein, dass die Hummel neuerdings interessante Dinge für sich beansprucht und irgendwo hinträgt. Darunter waren schon Autoschlüssel, Haustürschlüssel, Geldscheine und vielleicht auch das Portmonee. Ich fragte sie. Diesmal wusste sie nicht, wo das Gesuchte ist. Ganz sicher bin ich mir nicht. Denn ich fand das Portmemonai dann in einer Einkaufstüte, in die die Hummel gestern beim Einkaufen schon ungefragt, unerlaubt und zunächst unbemerkt Dinge geworfen hatte. Ich bemerkte es zum Glück dann doch, denn sonst wären wir am Ende noch wegen Ladendiebstahl eingefangen worden. 

Derweil nahm ich mir das Klassenfahrtkind zur Seite und legte ihm den Kassenbon hin, mit dessen Code die Callyacarte vom Handy mit Guthaben aufgeladen werden kann. Während wir versuchten die Bandansagen und Navigation akustisch zu verstehen und den vielstelligen Code einzutippen, wurden wir mehrfach von einem anderen Kind unterbrochen, weil dieses Kind Zutaten für eine Bastelarbeit brauchte, deren Beginn keinesfalls zwei Minuten aufgeschoben werden konnte. Ich verzweiflte, denn wir verstanden die Ansage von Vodafone ohnehin kaum, weil die Hummel lauthals Zirkusmusik sang. 

Das Bastelkind hatte seine Bastelzutaten nach Vollendung einfach liegen gelassen. Eine Schüssel mit ungekochtem Reis, den sie in ein Stoffsäckchen gefüllt hatte, ein offenes Reispaket und ein Löffel lagen neben Fernbedienung und Teddybär auf dem Sofa. Überall flogen auch schlappgewordene Luftballons mit Schnüren rum. Obwohl ich gefühlt jeden Tag zwei davon einsammele, mit einer Schere vollends erledige und wegwerfe, tauchen dennoch immer noch welche auf. 

Während ich auf dem Sofa ruhte, die Taucherbrille immer noch auf dem Kopf, sah ich, dass die Fenster dringend geputzt werden müssen, dachte an die Wäscheberge, die sortiert und verräumt werden müssen, an das ungeputzte Bad und an die nächste volle Woche. Latente Überforderung überkam mich. 

Mittlerweile sitze ich entspannt im Garten im Schatten, es ist auf wundersame Art erst 14 Uhr und das schlimmste Chaos ist beseitigt. Ein Kind hat Waffeln gebacken, das Klassenfahrtkind hat selbstständig nochmal sein Gepäck überprüft, der Mann hat mit den Kindern ein Gesellschaftspeil gespielt. 

Eigentlich müssten wir noch ein letztes Mal einen Badesee aufsuchen. Oder eine Radtour machen. Oder Eis essen gehen. Und gleichzeitig ist es so wohltuend ruhig gerade. Jeder ist mit sich und seinen Sachen beschäftigt. Vielleicht bleiben wir einfach nur zu Hause und „chillen unsere Base.“ Der Tag scheint für mich die Zeit zu verlangsamen. Man soll den Tag ja eigentlich nicht vor dem Abend loben, aber ich atme durch und genieße diesen wunderschönen Spätsommertag im Garten. 

 

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